Die Kapitalmärkte befinden sich in einem beispiellosen digitalen Wandel, der von Nicht-Mainstream-Technologieanbietern unterstützt wird. Thomas Zeeb, Head Securities & Exchanges bei SIX, sagte an der «Worlds of ExChange»-Konferenz am 29. Januar in Zürich, die von SIX gesponsert und von der Crypto Valley Association veranstaltet wurde, dass die Disruption nur dann erfolgreich verlaufen wird, wenn die Hauptakteure, die sie vorantreiben, dies in einer Weise tun, die auf die Risikotoleranzen der Regulierungsbehörden und der institutionellen Marktteilnehmer abgestimmt ist.
Risikobereinigte Innovation
Zeeb zufolge muss das Bekenntnis zu Vermögenssicherheit und Anlegerschutz im Mittelpunkt der Digitalisierung stehen. Am Beispiel der digitalen Vermögenswerte wies Zeeb darauf hin, dass die Mehrheit der bestehenden Krypto-Börsenanbieter die grundlegenden institutionellen Standards nicht erfüllt. Die Gründe dafür sind ihre undurchsichtigen Geschäftsmodelle, ihre mangelhaften Know-Your-Customer- und Anti-Geldwäsche-Verfahren (KYC/AML), ihre mangelnde Bilanzqualität sowie die fehlende aufsichtsrechtliche Überwachung. «Die meisten Krypto-Börsen auf dem Markt sind kaum mehr als unregulierte Broker, und es gibt keine rechtliche Verantwortung, wenn sie ausfallen sollten. Mit anderen Worten, wenn ein Investor nicht seine digitalen Vermögenswerte auf einem USB-Stick speichert, hat er keinen finanziellen Rückgriff.»
Darüber hinaus machte Zeeb deutlich, dass Innovationen im Rahmen eines soliden Regulierungsrahmens durchgeführt werden müssen. Er fügte hinzu, dass Unternehmen einen offenen und regelmässigen Dialog mit den Behörden über ihre Aktivitäten führen sollten, ein Ansatz, den SIX und ihre kürzlich gegründete SIX Digital Exchange (SDX) mit Nachdruck verfolgen. Wenn Technologieunternehmen die Regulierungsbehörden umgehen, könnte ihre Fähigkeit zur Institutionalisierung und Skalierung wesentlich schwieriger ausfallen.
In einer Podiumsdiskussion, die von Brian Taylor, Managing Director bei BTA Consulting, moderiert wurde, einigte man sich darauf, dass eine weitere Regulierung der Krypto-Märkte unvermeidlich und notwendig ist, wenn der Sektor Vertrauen aufbauen und grundlegende Anlegerschutzanforderungen erfüllen soll – zumal die Branche Opfer einer Flut von sehr destruktiven Cyberangriffen geworden ist. Gemäss einem Experten würde dies auch erfordern, dass Krypto-Börsen ihre bestehenden Governance-Modelle und -Praktiken erheblich verbessern.
Daten müssen geschützt werden
Ebenso wichtig ist, dass die Innovationstreiber den Datenschutz und die Privatsphäre ihrer Verbraucher respektieren. Dieses Defizit wurde in letzter Zeit bei einigen der grossen Technologieunternehmen deutlich und führte zu einem erheblichen Widerstand seitens der Verbraucher und Regulierungsbehörden. «Momentan gibt es wenig auf der Welt, das mächtiger ist als Daten. Seit 15 Jahren geben die Menschen ihre Daten an Organisationen und soziale Medien weiter, und die Folgen davon werden erst jetzt deutlich. Die Art und Weise, wie die Institute Kundendaten im Zusammenhang mit Wertschriften verwenden, wird von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden streng geprüft. Die Unternehmen müssen deshalb sicherstellen, dass sie über die richtigen Kontrollen verfügen», erklärte Zeeb.
Entwicklung einer schnelllebigen Technologie
In der Vergangenheit wurde die Technologieinfrastruktur für eine Nutzungszeit von mehreren Jahrzehnten entwickelt. So waren die Finanzinstitute nicht gezwungen, ihre Systeme regelmässig und mit erheblichen Kosten auf den neuesten Stand zu bringen. Zeeb erklärte dem Publikum, dass sich diese Denkweise ändern müsse. «Wir müssen uns damit befassen, wie wir mit ständig wechselnden Technologien umgehen. Die Situation hat sich verändert. Es ist nicht mehr so, dass die alten Technologiesysteme 25 Jahre lang betrieben und beibehalten werden. Stattdessen muss der technologische Wandel – relativ gesehen – im laufenden Betrieb erfolgen, was bedeutet, dass Unternehmen viel agiler werden müssen, wenn es darum geht, sich an neue Betriebsmodelle und Systeme anzupassen», so Zeeb.
Unsere Vision
SDX erwartet für die Zukunft, dass sich die Digitalisierung von Vermögenswerten nicht auf reine Krypto-Währungen beschränkt, sondern auf traditionelle Wertschriften wie Anleihen, Aktien und Exchange Traded Funds (ETFs) ausgedehnt wird. Diese Entwicklung wird das Wertpapieruniversum erheblich erweitern. Thomas Zeeb fügte hinzu, dass SDX an Möglichkeiten arbeite, um die Kotierung und den Handel mit digitalen Vermögenswerten zu erleichtern. SDX umfasst die Funktionen einer Börse, einer CCP und eines CSD und ermöglicht es Nutzern von digitalen Vermögenswerten, ihre Transaktionen sofort in ihren digitalen Brieftaschen («digital wallets») zu buchen und abzuwickeln. «Durch die Zusammenführung dieser drei Funktionen werden wir Ineffizienzen an den Wertschriftenmärkten beseitigen», so Zeeb.
Nach dem Modell von SDX wird es einen Übergang zur T+0-Abwicklung geben, die die Marktnorm von T+2 ersetzen wird. Da die sofortige Abwicklung die Notwendigkeit der Sicherheitenhinterlegung überflüssig macht, wird die Liquidität, die bei CCPs oder finanziellen Gegenparteien gefangen ist, frei. «Wir gehen davon aus, dass die Vorteile dieser Transformation beträchtlich sein werden. Unsere Aufgabe bei SIX ist es, den Übergang von der alten in die neue Welt zu erleichtern. Wir werden SDX einige Jahre lang parallel zu unserer bestehenden Infrastruktur betreiben. Aber irgendwann wird es einen Wendepunkt geben, an dem wir unsere Kunden ansprechen und uns darauf einigen werden, dass es an der Zeit ist, unsere Altsysteme ausser Betrieb zu nehmen und eine vollständige End-to-End-Infrastruktur zu schaffen», sagte Zeeb.
Stillstand ist keine Option
Eine selbstgefällige Passivität im Umgang mit der Disruption könnte jedoch für Finanzinstitute katastrophal sein. Dr. Maneesh Wadhwa, Head Innovation Financial Service Utility bei SIX, prognostizierte bei der «Worlds of Exchange»-Konferenz, dass digitale Zugangsplattformen es den Anlegern ermöglichen werden, direkt an den Primärkotierungen der Emittenten teilzunehmen, wodurch die Vermittlungstätigkeit der Banken und Broker überflüssig wird. Er warnte davor, dass voraussichtlich auch grosse Technologieunternehmen Emissionsplattformen einrichten werden, da eine Reihe führender Anbieter – wie Amazon oder Alibaba – schon jetzt zunehmend traditionelle Bankgeschäfte durchführen, wie etwa die Kreditvergabe. Sollten sich etablierte Infrastrukturen und andere Intermediäre gegen Innovationen entscheiden, gehen sie das Risiko ein, ihre Kerngeschäfte zu gefährden.