Jos Dijsselhof
Seit Januar 2018 ist Jos Dijsselhof CEO von SIX. Der Niederländer verfügt über einen Abschluss in Computerwissenschaft sowie Betriebswirtschaft und hat langjährige internationale Managementerfahrung in der Finanzbranche. Sein beruflicher Werdegang führte ihn für die ABN Amro Bank, die Royal Bank of Scotland und die ANZ Australia & New Zealand Banking Group unter anderem nach Hongkong und Singapur. Vor seinem Stellenantritt bei SIX war Jos Dijsselhof von 2014 bis Juni 2017 als Chief Operating Officer und 2015 als CEO ad interim bei Euronext in Amsterdam tätig.
Wir treffen uns im Vorfeld der Sibos. 2018 besuchten Sie die alljährlich stattfindende Fachmesse für Finanzdienstleister als neuer CEO von SIX. Was haben Sie für Erinnerungen daran?
Vor einem Jahr war der Wandel bei SIX ein grosses Thema. Gegen Ende meines ersten Amtsjahres kam die Sibos damals zu einem guten Zeitpunkt. Wir hatten SIX strategisch neu ausgerichtet und mit SIX Spirit ein Programm lanciert, das unsere Unternehmenskultur bei den Mitarbeitenden verankert. An einem internationalen Anlass trifft man natürlich viele alte Bekannte. Und alle wollten nicht nur wissen, wie mir die Schweiz und mein neuer Job gefallen, sondern eben auch, wie die Strategie von SIX und ihre Kultur aussieht. Es war der ideale Moment, um zu beschreiben, was SIX ausmacht.
Was haben Sie geantwortet?
Die Schweiz ist wunderschön und mir gefällt mein Job bei SIX, natürlich. Aber Spass beiseite, ich habe in erster Linie meine Vision für SIX erklärt: wie wir die Umgestaltung des Schweizer Finanzplatzes orchestrieren und mit innovativen Dienstleistungen den digitalen Wandel aktiv vorantreiben werden. Aber viel interessanter ist, was ich dieses Jahr erzählen werde: Es geht mir darum aufzuzeigen, wie weit wir auf diesem Weg schon gekommen sind. Denn glauben Sie mir, mit der gleichen Antwort wie letztes Jahr lassen sich weder meine Bekannten noch unsere Kunden abspeisen.
Und, wie weit sind Sie gekommen?
2019 zeigt nicht nur, dass wir auf dem Weg sind, sondern auch, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir haben schon einige Meilensteine erreicht, weitere folgen bis Ende Jahr. Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen, wie wir dieses Jahr mit unseren Innovationen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Kunden gestärkt haben und noch stärken werden: Die Managed Security Services unseres Security Operations Center sind nun in Betrieb und ermöglichen kleinen und mittleren Unternehmen in der Finanzbranche den Zugang zu hochprofessionellen Cyber-Security-Lösungen. Etwas, das sich sonst nur grössere Unternehmen leisten können. Unsere Threat-Intelligence-Plattform weist zurzeit schon über 20 Teilnehmer aus.
Unsere Digital Exchange SDX ist im Zeitplan. Es freut mich, dass wir an unserem Stand an der Sibos Präsentationen zu SDX halten werden. In einer Simulation zeigen wir, wie der Handel, die Abwicklung und die Verwahrung digital und vollständig integriert funktionieren. Unsere Kunden werden auch Gelegenheit haben, zu sehen, wie unser Collateral Cockpit das Collateral Management revolutionieren wird.
Die Sibos findet dieses Jahr in London statt. Wie wichtig ist die Präsenz von SIX dort?
London ist auch einer von 23 Standorten von SIX ausserhalb der Schweiz. Diese sind unter anderem darum wichtig, weil wir von dort aus unser internationales Geschäft mit Finanzinformationen betreiben. Hier lässt sich die vorher begonnene Reihe von Meilensteinen weiterführen. Zum Beispiel mit unserem Sanctioned Securities Monitoring Service. Angesichts der anhaltenden geopolitischen Turbulenzen findet er bei unseren Kunden grossen Anklang. Überhaupt gelingt es uns immer wieder, unübersichtliche regulatorische Situationen in einen Kundennutzen umzumünzen. Das zeigt die kürzlich lancierte Watchlist für Wertschriften mit Verbindungen zu Marijuana-related Businesses.
Wenn wir von London sprechen, kommen wir fast nicht darum herum, Brexit zu erwähnen.
Brexit zu kommentieren, überlasse ich den Briten. Als Niederländer in Zürich habe ich aber schon eine Meinung zum Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU. Umso mehr als wir in den vergangenen Monaten mit der Schweizer Börse im Mittelpunkt der Diskussionen um das institutionelle Abkommen mit der EU standen. Mit ihrer Ankündigung, die Äquivalenzanerkennung für die Schweizer Börse nicht zu verlängern, übte sie Druck auf die Schweizer Politik aus.
Seien wir ehrlich: Das vorliegende institutionelle Abkommen ist kein bilaterales Abkommen mehr, sondern hat aufgrund seines dynamischen Charakters das Potenzial für mehr. Ich verstehe, dass viele Schweizerinnen und Schweizer ihre Souveränität und die direkte Demokratie gefährdet sehen. Und immerhin zeigen Initiativen wie die Plattform für Open Banking von SIX, dass die Schweiz auch ohne regulatorischen Zwang durch die EU – in diesem Fall die Zahlungsdienstrichtlinie PSD2 – vernünftige Standards setzen kann.
SIX und die Schweizer Börse sind nie stillgestanden. Innovation ist Teil unserer DNS.
Auf jeden Fall müssen die Schweizerinnen und Schweizer ihre Entscheidung bezüglich des institutionellen Abkommens sorgfältig abwägen. Als EU-Bürger beneide ich die Schweiz um diesen grossen Moment der Demokratie. Ich höre stichhaltige Argumente von beiden Seiten und spüre eine grosse Ernsthaftigkeit. Demokratie braucht Zeit. Es wäre gut, wenn die EU der ältesten Demokratie des Kontinents diese Zeit einräumen würde.
Die EU hat die Äquivalenzanerkennung tatsächlich nicht verlängert.
Damit trat als Schutzmassnahme am 1. Juli 2019 eine Verordnung des Schweizer Bundesrates in Kraft, die EU-Handelsplätzen den Handel mit Schweizer Aktien verbietet. Das Handelsvolumen mit Schweizer Aktien in der EU verlagerte sich dadurch auf unsere Börse. Die Umstellung verlief absolut reibungslos. Es bleibt aber unsere oberste Priorität, dass die EU die Äquivalenz – die die Schweizer Börsenregulierung technisch vollumfänglich erfüllt – wieder anerkennt: Um weiterhin die Rechtssicherheit gewährleisten und mit transparenten und effektiven offenen Märkten die Bedürfnisse von Anlegern befriedigen zu können, koordinieren wir unsere Aktivitäten eng mit den Schweizer Behörden und unterstützen sie bei ihrer Arbeit.
Gemessen an der Free-Float-Marktkapitalisierung ist die Schweizer Börse die viertgrösste in Europa. Gratulation!
Drei der fünf Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung in Europa sind bei uns kotiert. Und darauf sind wir stolz. Aber die Schweizer Börse ist nicht nur ein Handelsplatz für Nestlé, Roche oder Novartis. Wir sind nach wie vor die Plattform für grosse und kleine Unternehmen auf der Suche nach Kapital. Hier werden auch rund hundert Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung zwischen CHF 100 Millionen und CHF 1 Milliarde gehandelt. Das ist das Schöne an der Schweizer Börse.
Die Schweizer Wirtschaft ist erheblich kleiner als die deutsche, aber die Marktkapitalisierung der Aktienmärkte ist ähnlich hoch. Im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt haben wir also einen extrem starken Kapitalmarkt.
Warum ist er so erfolgreich?
Sein Erfolg hat viele Gründe. Ein paar möchte ich hier herausstreichen. Die Finanzbranche ist ein wichtiger Motor der Schweizer Wirtschaft. Vermögenswerte im Wert von rund CHF 6000 Milliarden werden in der Schweiz verwaltet. Die kapitalstarke Investorenbasis schafft ein gutes Umfeld für Börsengänge. Zudem ist der Schweizer Kapitalmarkt hocheffizient und schnell. Maximal vier Wochen nach einem Kotierungsantrag folgt ein Entscheid.
Es ist darum nicht überraschend, dass wir Unternehmen unterschiedlicher Herkunft, Grösse und Branche anziehen. In diesem Jahr sind bisher vier Unternehmen mit einem Transaktionsvolumen von insgesamt CHF 2,3 Milliarden an die Schweizer Börse gegangen. Der IPO von Stadler Rail war einer der grössten Europas. Der IPO von Medacta und die Kotierung von Alcon zeugen von unserer Kompetenz im Life-Science-Markt. Wir repräsentieren rund 40 % der Kapitalisierung dieses Marktes über die grössten Börsen Europas hinweg betrachtet. Und natürlich profitieren wir davon, dass der Standort Schweiz zu den wettbewerbsfähigsten der Welt gehört, wie uns das World Economic Forum in seinem Global Competitiveness Report Jahr für Jahr bescheinigt.
Ich erwarte, dass wir die Art und Weise, wie wir unsere Dienstleistungen heute erbringen, kontinuierlich optimieren.
Der wichtigste Grund ist jedoch ein anderer: SIX und die Schweizer Börse sind nie stillgestanden. Innovation ist Teil unserer DNS. Ich habe bereits erwähnt, was wir alleine 2019 erreicht haben, aber ich erinnere gerne auch an das Jahr 1996, als die Schweizer Börse den gesamten Aktienhandel auf ein vollelektronisches System umgestellt und damit den Parketthandel ersetzt hat. Nicht New York, nicht London und auch nicht Tokio waren zuerst, sondern Zürich.
Heute gehören wir zu den Ersten in unserer Branche, die nicht nur über Artificial Intelligence reden, sondern sie auch einsetzen – unter anderem für Supportanfragen im Post Trading oder für Auskünfte zu Finanzinformationen.
Innovation in Ehren, aber steht SIX nicht vor allem für Stabilität?
Unsere Stabilität und unsere Zuverlässigkeit sind entscheidend und eine starke Basis auch für das nächste Level von SIX. Trotzdem: Ich erwarte, dass wir unsere Prozesse hinterfragen und die Art und Weise, wie wir unsere Dienstleistungen heute erbringen, kontinuierlich optimieren. Und weitere Dienstleistungen müssen dazukommen. Die Botschaft ist klar: Wir wollen wachsen. Wir werden dies tun, indem wir neue Ideen verfolgen und neue Technologien erforschen, vielleicht auch mit zusätzlichen strategischen Partnern und durch Akquisitionen.
Aber vor allen Dingen müssen wir liefern, «Deliver, deliver, deliver!», wie ich immer sage. Mit anderen Worten das einlösen, was wir an der Sibos vor einem Jahr versprochen haben.
SDX: auf dem Weg zur weltweit führenden Börse für digitale Vermögenswerte
SIX baut die weltweit erste vollständig integrierte Plattform für den Handel, die Abwicklung und die Verwahrung digitaler Vermögenswerte in einem sicheren und regulierten Umfeld. An der SIX Digital Exchange (SDX) werden Handel und Abwicklung nicht mehr getrennt sein. Ein gemeinsamer Arbeitsgang ermöglicht risikofreies Handeln. Nach erfolgreicher Preisbildung wird ein Auftrag sofort ausgeführt. Lieferung und Zahlung finden gleichzeitig statt. Heute nimmt dieser Prozess zwei Tage in Anspruch. Risikofreies Handeln bedeutet konkret, dass es nicht mehr nötig sein wird, das Risiko zu begrenzen, und dass – gegebenenfalls – das Clearing als Funktion wegfallen kann.
Durch die unveränderliche Verknüpfung von digitalen Vermögenswerten und digitalem Geld mit Eigentumsrechten will SDX den weltweiten Standard für Tokenisierung setzen. Alle Eigenschaften eines Vermögenswertes sind im Token enthalten – a Single Source of Truth. Durch neue Anlageklassen (z.B. schwer handelbare Vermögenswerte oder Non-bankable Assets wie Immobilien oder Gemälde) in Form von Anlage- Tokens entstehen neue Geschäftsmöglichkeiten.
Fokussiert auf ein B2B-Modell wird SDX als vollständig regulierte Finanzmarktinfrastruktur operieren, die eine Börse und eine Zentralverwahrerin umfasst. Die Kunden von SDX müssen deshalb bestimmte Kriterien erfüllen, um eine direkte Mitgliedschaft zu erhalten.
SDX wird zu grösserer Transparenz, einem geringeren Gegenparteirisiko und erheblichen Effizienzsteigerungen führen.
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