Martina Lauener arbeitet bei SIX im Business Development und ist Initiantin der Non-Profit-Initiative 4Switzerland. Zusammen mit sieben weiteren Freiwilligen (vier davon ebenfalls Mitarbeitende von SIX) hat sie eine Spendenplattform für Schweizer KMU in der Corona-Krise ins Leben gerufen.
Daniel Steingruber leitet als Innovationsmanager bei SIX das Innovationsfeld «Banking Services & Platforms». Im Gespräch reflektieren Martina und Daniel, wie sich die Plattform 4Switzerland.ch entwickelt, und was sich daraus für künftige Innovationsvorhaben von SIX lernen lässt.
Martina, du hast zu Beginn der COVID-19 Pandemie zusammen mit Kollegen innerhalb kürzester Zeit die Spendenplattform 4Switzerland ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?
Martina: Die Idee entstand bei einem Nachtessen: Wir wollten die aktuelle Situation für KMU entschärfen, indem wir möglichst vielen von ihnen finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Mit einer Spende auf unserer Plattform 4Switzerland.ch kann man dem eigenen «Lieblingsunternehmen» – z. B. dem Coiffeur, zu dem man seit Jahren geht – über die Corona-Krise und die schwierige Zeit danach hinweghelfen. Neben finanziell angeschlagenen Unternehmen gilt es auch möglichst viele Spender auf die Plattform bringen. Nach dem Live-Gang haben sich innerhalb der ersten vier Wochen 45 Unternehmen angemeldet; etwa CHF 12'000 Spendengelder sind geflossen. Das sind im Schnitt CHF 150 pro Spende.
Ist das in der derzeitigen Krise nicht nur ein Tropfen auf dem heissen Stein?
Martina: Mit CHF 3000 bis CHF 4000 mehr auf dem Konto ist es zumindest schon mal einfacher, die Monatsmiete zu begleichen. Aber der finanzielle Aspekt ist nur die eine Seite. Daneben geht es vor allem auch um das Gefühl der Solidarität und die spürbare Unterstützung durch die eigenen Kunden. Das gibt den Unternehmen Kraft, die Krise zu überstehen. Viele Unternehmer haben sich dafür mit Mails und Anrufen bei uns bedankt.
Was macht die Plattform von 4Switzerland auch für die Innovation bei SIX interessant?
Daniel: Innovation lebt von Leuten, die an ein Thema glauben; von Leuten, die der «CEO» einer Idee sind, und die Extra-Meile gehen. Schon allein deshalb finde ich das Projekt 4Switzerland, das von engagierten SIX Mitarbeitern auf privater Basis und aus einem Solidaritätsgedanken heraus vorangetrieben wird, extrem spannend. Als Innovationsmanager für das Innovationsfeld Banking Services & Platforms interessiert mich aber vor allem, wie die Kunden unserer Kunden ticken, und wie die entsprechenden Plattformen funktionieren.
KMU sind eine wichtige Zielgruppe für Banken.
Daniel: Ja, und deren Finanzierung ist eine zentrale Dienstleistung – aber eben nur eine von vielen möglichen. Wenn die Banken ihre Kundenschnittstelle zu KMU nicht an FinTechs, BigTechs oder andere Konkurrenten verlieren wollen, müssen sie ihnen mittelfristig weitere, innovative Services anbieten können. Dafür entwickeln wir bei SIX Ideen.
Welche weiteren Services seitens der Banken könnten für KMU relevant sein?
Daniel: Im Rahmen unseres Research haben wir viele Gespräche mit selbständigen Unternehmern geführt, und festgestellt, dass die Finanzierung nicht zu deren vordringlichsten Problemen gehört. Natürlich muss sie gegeben sein. Aber Unternehmer sind v. a. auch Entrepreneure und machen sich im Alltag viel mehr Gedanken darum, wie sie z. B. an junge Fachkräfte kommen, oder wie sie ihr Geschäft weiterentwickeln können, um für Kunden attraktiv zu bleiben.
Was bedeutet das für die Banken?
Daniel: Banken kommen immer mehr davon ab, nur eine bestimmte Dienstleistung oder ein Produkt zu verkaufen: Sie wollen entlang der gesamten Kundenerlebniskette präsent sein, also z. B. auch vor und nach einer Finanzierung bedürfnisgerechte Services bieten. Hierfür loten wir bei SIX innovative Möglichkeiten für die Banken aus.
Ist die Spenden-Plattform von 4Switzerland in der Corona-Krise bei den KMU auf ein grosses Bedürfnis gestossen?
Martina: Grundsätzlich hätten wir aufgrund der existenzbedrohenden Krise und der schweizweiten Bekanntmachung unserer Plattform mit mehr Anmeldungen gerechnet. Aber Crowdfunding-Plattformen sind zu Beginn des Lockdowns wie Pilze aus dem Boden geschossen – für Unternehmen war es da nicht ganz einfach, den Überblick zu bewahren. Unterschätzt haben wir den Stolz der Schweizer Unternehmer: Aus persönlichen Gesprächen wissen wir, dass viele massive Probleme haben, und nicht wissen, wie sie Mieten und Monatslöhne zahlen sollen. Trotzdem melden sie sich nicht auf einer Plattform an, weil sie ihre finanziellen Schwierigkeiten nicht publik machen wollen. Die Hürde wird kleiner, wenn sie – wie auf 4Switzerland.ch – eine Gegenleistung für eine Spende erbringen können, und wenn sich immer mehr Unternehmen aus der eigenen Branche und Region anmelden.
Die Grösse der Plattform ist also entscheidend für deren Erfolg.
Martina: Ja. Deshalb haben wir 4Switzerland auch als nationale Initiative gestartet. Uns geht es darum zu zeigen, wie wichtig KMU für die Stabilität der Schweizer Wirtschaft sind. Mittlerweile haben wir die Plattform auch auf Italienisch und Französisch verfügbar gemacht.
Was sind aus Sicht von SIX weitere Erfolgskriterien für eine KMU-Plattform?
Daniel: Eine Plattform, die für KMU relevant ist und das auch bleiben soll, muss verschiedene Komponenten bieten. In der Innovation bei SIX sprechen wir von einem «KMU-Banking Ökosystem». Beispiel 4Switzerland: Die KMU können im Moment über die Plattform sowohl Spenden generieren als auch Gutscheine vergeben. Vielleicht wäre der nächste Schritt die Integration eines Customer Relationship Management (CRM) oder die Anbindung an ein digitales Rechnungssystem. Wichtig ist, sich zu überlegen, was für KMU relevant sein könnte. Welche Bedürfnisse haben sie und wie kann man dem entgegenkommen? Für mich ist es extrem spannend zu beobachten, wie die Plattform von 4Switzerland sich entwickelt, und welche Learnings sich daraus für unsere eigenen Innovationsvorhaben generieren lassen.
Wie geht es mit 4Switzerland weiter?
Martina: Für uns stehen nach wie vor der Solidaritätsgedanke und die Unterstützung der Schweizer Wirtschaft im Vordergrund. Die finanziellen Engpässe werden nicht von heute auf morgen verschwinden, auch wegen der anstehenden Rückzahlung von Hilfskrediten. Solange wir die Schweizer Unternehmen hier unterstützen können, bleibt 4Switzerland.ch bestehen. Neue Projektideen im Sinne des Vereins, z. B. im Bereich Nachfolgeplanung für KMU oder im Umweltbereich, schliessen wir aber auch nicht aus. Es macht sehr viel Spass, an einem sinnvollen Projekt zu arbeiten, und unser Team ist hoch motiviert: Wir werden 4Switzerland.ch weiter vorantreiben. Jeder kann weiter mithelfen, in dem er Bekannte über die Plattform informiert, sie in den sozialen Netzwerken teilt oder selber spendet.