Die Schlagzeilen in diesem Frühling kündigten den Tod des Bargeldes an. «Covid kills Cash» konnte man mehr als einmal lesen. Aus Angst, Banknoten könnten das Virus übertragen, würden viele Menschen auf digitale Alternativen umsteigen, war die Argumentationslinie. Sind die Tage des Bargeldes tatsächlich gezählt? Die klare Antwort darauf lautet: Jein.
Um dem Gebrauch von Bargeld während der Pandemie auf die Spur zu kommen, sind die Geldautomaten in der Schweiz, die Bancomaten, ein guter Ausgangspunkt. Im Juli und August lagen die Bancomatbezüge nur noch 10 bis 15 % unter dem Niveau der Monate vor dem Lockdown (siehe Grafik). Das entspricht – saisonal bereinigt – 80 % der Vorjahreswerte.
Die Nachfrage nach Bargeld sank also nur kurzfristig stark. Wie ist das möglich? In Zeiten von Covid-19 ist der Schalter in den Bankfilialen kein bevorzugter Kanal für Bargeldgeschäfte. Viele Menschen sind auf Bancomaten ausgewichen. Einen noch wichtigeren Grund nennt Alexander Verbeck, Head Cash Ecosystem bei SIX: «In unsicheren Zeiten und mit Bankkonten, die wenig oder keinen Zins abwerfen, kommt Bargeld vermehrt als Wertspeicher zum Zug.»
Anzahl Bezüge am Bancomaten pro Woche in 2020, basierend auf 4200 Geräten in der Schweiz
Dazu passt, dass im Lockdown die Höhe der Geldbeträge pro Bezug angestiegen ist: «Wenn die Menschen zum Bancomaten gingen», so Alexander Verbeck, «haben sie in der Startphase der Einschränkungen bis zu fünfmal mehr abgehoben als noch Anfang des Jahres.» Und gerade die Banknoten mit hohen Notenwerten «landen praktisch immer unter der sprichwörtlichen Matratze», so Alexander Verbeck. Studien weisen für die 1000-Franken-Note – die wertvollste Banknote der Welt – eine sogenannte Hoarding-Quote von 80 % nach. Die Menschen würden sie «fast wie Gold» benutzen, so Alexander Verbeck.
Er selbst trägt gerade einmal 20 Franken und 10 Euro im Portemonnaie, und «die liegen sicher schon ein halbes Jahr da». Der Head Cash Ecosystem von SIX nutzt persönlich, wenn immer möglich, bargeldlose Bezahllösungen. Dennoch ist er überzeugt, dass Bargeld bleiben wird – für immer: «Trinkgeld wollen wir persönlich übergeben, das ist tief in unserer Kultur verankert. Und noch wichtiger, Menschen, die im Umgang mit Geld Probleme haben, schlagen Schuldenberater vor, möglichst auf Plastikgeld zu verzichten, und nur so viel Geld abzuheben, wie sie gerade benötigen. Wir können eine bargeldlose Gesellschaft nicht auf Kosten dieser Menschen ausrufen.»
Die Trennung fällt schwer
Tatsächlich haben amerikanische Psychologen bereits 1998 nachgewiesen, dass beim Bezahlen mit Bargeld ein «Trennungsschmerz» (Pain of Paying) eintritt; ähnliche Hirnregionen werden aktiviert wie bei emotionalem Schmerz oder Abscheu. Spätere Studien zeigten, dass dieser Effekt beim Zahlen mit Kreditkarten oder dem Smartphone nicht oder viel weniger stark ausgeprägt ist. Die Münze hat im wahrsten Sinne des Wortes also zwei Seiten.
Kostenloses White Paper «Future of Money» lesen
Entwickelt sich Bargeld vom Zahlungsmittel zum Wertspeicher? Welche Rolle werden Banken und Zentralbanken spielen? Setzen sich digitale Währungen durch? Das White Paper von SIX «Future of Money» aus der Reihe «Picture of the Future» zeigt Szenarien rund um unser Geld.
Fraglos hat die Pandemie die Einführung von bargeldlosen Bezahltechnologien beschleunigt. Alexander Verbeck rechnet damit, dass Bargeldzahlungen in der Schweiz bis im Jahr 2025 nur noch etwa 30 bis 50 % des heutigen Niveaus erreichen werden, und verweist auf das White Paper von SIX «Future of Money» (siehe Hinweis oben rechts). Das sei leicht über dem Wert von Schweden, dem weltweiten Vorreiter für eine bargeldlose Gesellschaft, wo sogar Bettler ihre Almosen mit digitalen Geräten entgegennehmen.
Die Tendenz gibt Alexander Verbeck recht. In der Schweiz haben Konsumenten Anfang der 1990er-Jahre noch 90 % der Einkäufe im Laden bar bezahlt. Nach dem Lockdown verkündete die Migros, die grösste Detailhändlerin der Schweiz, dass erstmals mehr als die Hälfte der Einkäufe digital bezahlt worden sind.
Bargeld ist teuer
Über die Vor- und Nachteile von physischem Geld lässt sich lange streiten, doch ein Nachteil ist unbestritten: Es ist teuer. Sehr teuer. Beschaffung und Unterhalt von Bancomaten, Geldtransporte von und zu Einzelhändlern, zentrale Geldsammelstellen, Tresore in Bankfilialen sowie aufwändige physische und elektronische Sicherheitskonzepte kosten viel Geld. Geschätzt liegt der Aufwand für die Bargeldbewirtschaftung in der Schweiz pro Jahr bei weit über CHF 2 Milliarden. «Das Bargeldsystem muss dringend effizienter werden», sagt auch Alexander Verbeck, «angefangen bei den Bancomaten, wovon etwa die Hälfte nicht gewinnbringend betrieben werden können.»
Debitkarten online nutzen
In den nächsten Jahren wird Bargeld wohl kaum vollständig verschwinden. In seiner Funktion als Zahlungsmittel wird es jedoch immer mehr von digitalem Geld und digitalen Vermögenswerten verdrängt. Mit einem täglichen Umsatz von CHF 207 Millionen ist die Debitkarte heute schon das beliebteste Zahlungsmittel in der Schweiz und in Liechtenstein.
Auf die bestehenden Maestro- und «V Pay»-Karten folgen nun die Debit Mastercard und Visa Debit mit erweiterten Funktionen. Neu können Karteninhaber mit ihnen auch im Internet bezahlen und Hotel- sowie Mietwagenreservationen tätigen. Die neuen Debitkarten sind in der ganzen Welt einsetzbar; überall dort, wo Mastercard und Visa akzeptiert werden. Zudem gewährleistet der Authentifizierungsstandard «3D Secure 2» eine hohe Sicherheit bei Online- Transaktionen.
Die neuen Debitkarten sind ein weiterer Schritt in Richtung virtuelle Karte, die beispielsweise das Bezahlen mit dem Smartphone – die Karte ist in der Wallet hinterlegt – erlaubt. Die Grundlage dazu bildet Tokenisierung. Das Verfahren nutzt im Bezahlprozess ausschliesslich verschlüsselte Daten oder Ersatznummern, so genannte Tokens. Deniz Maden, Senior Product Manager in der Geschäftseinheit Banking Services von SIX, fasst zusammen: «Mit den geplanten digitalen Debit Services wird die Schweizer Debitkarte zum Zahlungsmittel, das die Karteninhaber digital über das Smartphone verwalten und in allen E- und Mobile-Commerce-Kanälen verwenden können.»
Hier setzte ATMfutura an: Das Gemeinschaftsprojekt der Banken, mit dem SIX beauftragt wurde, hat Geräte und Software standardisiert, die Beschaffung gebündelt und betriebliche Aufgaben zentralisiert. Da die Konditionen für alle Banken einheitlich sind, können so insbesondere kleinere Banken viel einsparen. «Seit dem Projektabschluss Ende September
2020 sind alle Bancomaten migriert, deren Prozesse SIX verarbeitet », sagt Alexander Verbeck, «das sind gut 85 % aller Geräte in der Schweiz.»
Die bereits erwähnten Tresore sowie die aufwändigen physischen und elektronischen Sicherheitskonzepte machen die bedienten Geldschalter zu einem Kostentreiber für die Banken. Immer häufiger verzichten diese im Sinne «bargeldloser Filialen» darauf, richten stattdessen ganze Cafés ein und konzentrieren sich auf die Beratung.
Sollte ein Kunde doch Geld abheben wollen, wird er – und hier schliesst sich der Kreis – an den Bancomaten verwiesen. Dort kommt er dank QR-Code, ausgedruckt oder auf dem Smartphone, ohne Pin und Bankkarte an Bargeld. Das hat auch noch einen weiteren Vorteil, sagt Alexander Verbeck: «Wer überfällt schon eine Bank, wo nur Kaffee ausgeschenkt wird?»
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