Dewet Moser ist seit zwei Jahren stellvertretendes Mitglied des Direktoriums bei der Schweizerischen Nationalbank und verantwortlich für die operative Führung der Bereiche Finanzstabilität und Bargeld sowie Rechnungswesen, Controlling, Risikomanagement, operationelle Risiken und Sicherheit.
Sébastien Kraenzlin leitet seit 2016 das operative Bankgeschäft bei der Schweizerischen Nationalbank. Dieser Bereich deckt unter anderem den Zahlungsverkehr ab.
Bis vor einigen Jahren fand das Thema Zahlungsverkehr kaum Beachtung in der Öffentlichkeit. Heute ist es in den Medien omnipräsent. Wie erklären Sie sich das?
Dewet Moser: Der Zahlungsverkehr ist ein Spiegel der Wirtschaft. Mit dem Zusammenrücken der nationalen Volkswirtschaften, der Verschmelzung der Wirtschaftsräume und der Intensivierung des grenzüberschreitenden Handels ist der Zahlungsverkehr stärker ins Blickfeld gerückt. Lieferbeziehungen sind zunehmend globalisiert, nicht nur zwischen Firmen, sondern auch mit Privatkunden. Viele Firmen haben heute eine globale Kundenbasis. Das alles hat den Bedarf nach einfacheren Zahlungsverkehrslösungen befördert, und der technologische Fortschritt schuf die Möglichkeiten dazu. Von der so genannten Digitalisierung der Wirtschaft profitiert nicht nur der Handel, sondern natürlich auch der Zahlungsverkehr. Und mit der Möglichkeit, digital und mobil zu zahlen, hat auch die Konkurrenz im Zahlungsverkehr massiv zugenommen.
Allenthalben wird die Erwartung an die Zentralbanken geäussert, sie sollten selbst Digitalgeld sowohl für Banken als auch für Konsumenten ausgeben. Inwieweit ist das aus Ihrer Sicht Zukunftsmusik?
D.M.: Ich muss vorausschicken, dass alles, was wir als Nationalbank tun, sich aus unserem gesetzlichen Auftrag ableiten lässt: Neben der Verpflichtung, die Bargeldversorgung der Wirtschaft sicherzustellen, müssen wir auch das Funktionieren des bargeldlosen Bezahlens erleichtern und sichern. Darüber hinaus sind wir in der Pflicht, einen Beitrag zur Stabilität des Finanzsystems zu leisten. Das sind die Leitprinzipien, die wir auch bei der Weiterentwicklung des Zahlungsverkehrs beachten müssen. Festzuhalten ist, dass das SIC-System, wie wir es heute haben, sich sehr gut bewährt hat. Vor 40 Jahren konzipiert, seit 33 Jahren im Einsatz, wurde es ständig weiterentwickelt, um es auf dem neuesten Stand zu halten. Bei der Diskussion rund um alternative Zahlungsmittel und neue digitale Technologien haben wir noch keinen Nachweis, dass diese wirklich einen Mehrwert stiften. Sei es von der Funktionsweise oder auch von der Effizienz her. Hinzu kommt: Wenn wir der Bevölkerung digitales Zentralbankgeld anbieten wollten, müssten wir letztlich bereit sein, an den Grundfesten des Finanzsystems zu rütteln. Heute gibt es eine klare Aufgabenteilung zwischen der SNB als Zentralbank und den Banken als Dienstleisterinnen gegenüber den Kunden. Wir hätten grösste Bedenken, dieses so genannte zweistufige Bankensystem in Frage zu stellen. Es könnte insbesondere auch Gefahren für die Stabilität des ganzen Finanzsystems mit sich bringen.
Sébastien Kraenzlin: Das SIC-System hat in den letzten 33 Jahre nicht nur bewiesen, dass es sehr effizient und sicher ist, sondern auch gezeigt, dass Innovationen an der Bank-Kunde-Schnittstelle auf der Basis von SIC angeboten werden können. Wir sind der Meinung, dass die Banken oder andere Finanzintermediäre am besten dazu geeignet sind, diese Innovationen anzubieten, und dass es nicht Sache der Zentralbank ist, sie im Markt umzusetzen. Unsere Aufgabe ist es zu identifizieren, welche Bedürfnisse aufkommen bzw. welche Innovationen im Markt stattfinden und wie das SIC-System – als Kerninfrastruktur des Schweizer Zahlungsverkehrs – diese Innovationen unterstützen und Synergien schaffen kann.
Bei der Diskussion rund um alternative Zahlungsmittel und neue digitale Technologien haben wir noch keinen Nachweis, dass diese wirklich einen Mehrwert stiften.
Finden konkrete Überlegungen dazu statt?
D.M.: Betreffend Digitalgeld geht es, neben den vorhin erwähnten Grundsatzfragen, vor allem um die vertiefte Prüfung der neuen technologischen Möglichkeiten zur Digitalisierung des Zahlungsverkehrs, also etwa um die «Distributed Ledger Technology» (DLT). Dabei haben wir beispielsweise die effizientere Abwicklung von Finanzmarktgeschäften oder auch den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr im Blick. Hier findet eine sehr aktive und intensive Diskussion auch unter Zentralbanken und Behörden statt. Konkret beteiligen wir uns zusammen mit der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) an Projekten im Innovation-Hub-Zentrum in der Schweiz. Bei einem der Projekte, an dem auch SIX beteiligt ist, geht es um eine Machbarkeitsstudie, wo wir die Integration von digitalem Zentralbankgeld in eine «Distributed Ledger Technologie»-Infrastruktur für Finanzinstitute prüfen. Konkret würde dabei ein Teil der heutigen SIC-Guthaben in solche Franken-Tokens umgewandelt, und mit diesen könnten die Finanzinstitute dann untereinander beispielsweise Banken- oder Börsengeschäfte abwickeln. Das bleibt aber Zukunftsmusik. Und die Messlatte ist hoch, denn das heutige System ist schon sehr effizient.
Die Schweiz habe mit dem SIC-System den Begriff RTGS geprägt, meinte 2002 Stephan Zimmermann, damals VR-Präsident der heutigen SIX Interbank Clearing AG. Welche weiteren Pionierrollen haben die SIC-Generationen gespielt?
S.K.: Ich habe die Einführung von SIC4 verfolgt, das vor fünf Jahren in Produktion ging. Mit dieser Generation waren wir weltweit die ersten, die ISO 20022 in einem RTGS-System eingeführt haben. Damit haben wir unter anderem auch die Innovation mit der QR-Rechnung ermöglicht. Das war ein sehr wichtiger Meilenstein.
D.M.: Generell kann man sagen, dass SIC als Projekt über alle Generationen hinweg von einem gemeinschaftlichen Ansatz profitiert hat. Heute würde man von «Public-Private-Partnership» sprechen. Das haben wir vielleicht damals gelebt, ohne es so zu nennen. Tatsache ist, dass die Banken zusammen mit der Nationalbank bereit waren, ein solches System zu schaffen. Zudem haben wir schon früh neben dem eigentlichen Interbanken-Zahlungsverkehr auch die Kundenzahlungen soweit wie möglich ins SIC-System integriert. Das hat dazu geführt, dass SIC nicht nur Grossbetragszahlungen, sondern auch die Massenzahlungen kleinerer Beträge effizient und zeitnah abwickeln kann – zumindest auf der Ebene zwischen den Banken. Ich denke, das kann man als Pionierleistung und als Vorbild für die heutige Situation sehen, wo es darum geht, Zahlungen zwischen Bankkunden zu beschleunigen, effizienter und sicherer zu machen, sei es, um die Gutschrift rasch verfügbar zu machen, sei es, um dank dem Technologiefortschritt einen weiteren Digitalisierungsschub einzuleiten. Zusammengefasst: Sowohl von der Konzeption, der Architektur und der Technologie als auch von der Governance her haben alle SIC-Generationen sicher Vorbildcharakter. Wenn wir schon bei der Geschichte sind: Ich kann mich gut daran erinnern, dass Christian Vital, einer der Gründungsväter von SIC, in den 80er Jahren in China war und die chinesische Zentralbank auf dem Weg zu einem modernen System beraten durfte. Damals wurden dort die Zahlungsbelege noch mit einfachsten Mitteln von Ort zu Ort befördert, sodass die Abwicklung von Zahlungen über grössere Distanzen mehrere Tage oder Wochen dauerte.
Bei einem der Projekte, an dem auch SIX beteiligt ist, geht es um eine Machbarkeitsstudie, wo wir die Integration von digitalem Zentralbankgeld in eine «Distributed Ledger Technologie»-Infrastruktur für Finanzinstitute prüfen.
Mit dem WIR-Geld ist in der Schweiz seit Jahrzehnten eine Nischen-Parallelwährung im Umlauf. Die Libra-Währung, die in den Startlöchern steht, scheint von einem ganz anderen Kaliber zu sein, vor allem was ihre potenzielle Verbreitung betrifft. Wie stehen Sie zu dieser absehbaren Konkurrenz zum Franken?
D.M.: Geld hat verschiedene Funktionen und kann unterschiedliche Formen annehmen. Traditionell ist eine Währung etwas Hoheitliches, wird von einer Zentralbank emittiert und gesteuert mit dem Ziel, die Kaufkraft des Geldes zu erhalten, damit es seine Funktionen wahrnehmen kann: als Zahlungsmittel, als Wertaufbewahrungsmittel, als Recheneinheit. Die neue Technologie, die im Raum steht und im Privatsektor eingesetzt wird, macht es grundsätzlich einfacher, dass man Geld auch in einer privaten Form zur Verfügung stellen kann. Und damit ist auch gesagt, dass Libra nicht als Konkurrenz zum bestehenden Geld gesehen werden sollte, sondern als eine mögliche Ergänzung dazu. Nach dem ursprünglichen Konzept bezieht sich Libra zwar auf verschiedene bestehende Währungen, bleibt aber letztlich eine private Währung. Da stellt sich die Frage, wie die Beziehung zu den hoheitlichen Währungen ausgestaltet ist, wie stabil diese private Währung ist, wie verlässlich und wie werthaltig sie ist, wenn sie einmal emittiert werden sollte. Ob sich Libra weit verbreitet, hängt letztlich davon ab, ob es die Eigenschaften von gutem Geld annehmen kann, also Wertstabilität, Sicherheit, breite Akzeptanz und die Möglichkeit, damit effizient zahlen zu können. Dies alles und noch vieles mehr wissen wir bei Libra noch nicht. Beispielsweise sind im Libra-System verschiedenste Akteure vorgesehen (z.B. Designated Dealers, Virtual Asset Service Providers, Validators oder Custody Banks). Noch ist offen, welche Institute diese verschiedenen Funktionen wahrnehmen würden und welche Rechte und Pflichten damit verbunden wären. Bei traditionellem Geld ist es einfach eine Bank, die eine Verpflichtung gegenüber dem Kunden eingeht. Beim Libra-System ist unklar, welche Rolle Nichtbanken und andere Dienstleister spielen werden. Solange all diese Fragen nicht beantwortet werden können, kann Libra die Auflagen der Regulatoren kaum erfüllen. Die Absicht, den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr flüssiger, effizienter und sicherer zu machen, ist an sich lobenswert, weil es da durchaus Handlungsbedarf gibt. Ob sie je eingelöst werden kann, bleibt aber vorderhand offen.
S.K.: Bezüglich grenzüberschreitender Zahlungen haben sich die Exponenten von Libra dahingehend geäussert, dass sie einen Beitrag zur so genannten finanziellen Inklusion leisten wollen, damit jeder auf der Welt ein Konto haben und Zahlungen effizient und kostengünstig durchführen kann. Die aktuelle Ineffizienz im Bereich des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs ist evident. Einerseits dauert es lange, bis Geld in ein anderes Land überwiesen wird. Anderseits ist die Überweisung teuer. Das wollen Libra und andere Marktinitiativen adressieren. Ich denke, das ist ein wichtiges Thema, dem sich auch die aktuellen Akteure im Zahlungsverkehr widmen sollten und somit auch die Zentralbanken. Dazu braucht es nicht unbedingt eine neue Technologie. Auf internationaler Ebene wurde Massnahmen identifiziert, die die Ineffizienz im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr adressieren. Dazu gehören die ISO-20022-Migration, die Zulassung von neuen Anbietern im Zahlungsverkehr (u.a. Fintechs) zu Konten bei Zentralbanken und die Verlängerung der Betriebszeiten. Die Schweiz hat diese Massnahmen im SIC-System bereits umgesetzt.
Wie gross ist der gesellschaftliche Bedarf an Instant Payments?
S. K.: Der Bedarf besteht und nimmt durch die Digitalisierung weiter zu. Insgesamt profitiert der bargeldlose Zahlungsverkehr von der breiten Nutzung von Smartphones und von der zunehmenden Bedeutung von Online-Einkäufen. Gleichzeitig gibt es neue Anbieter von Bezahllösungen, und die Endkunden erwarten, dass bezahlen so einfach wird wie das Versenden einer Handy-Nachricht. Schon heute nutzen viele Mobile Payments und sind es gewohnt, einen Geldtransfer sofort zu erhalten, sei es mit TWINT, sei es mit anderen Mobile-Lösungen. Diese Nutzung wird weiter zunehmen, auch in den nächsten zwei, drei Jahren, bis Instant Payments im SIC-System umgesetzt ist. Allerdings ist bei den heutigen Mobile-Payments-Lösungen den wenigsten bewusst, dass die Überweisung zwischen den Banken gar nicht in Echtzeit erfolgt. Wenn Sie beispielsweise beim Autohändler mit Mobile Payments bezahlen, damit sie das Auto gleich mitnehmen können, ohne Bargeld dorthin transportieren zu müssen, geht die Bank des Autohändlers in Vorleistung. Die Bank schreibt den Betrag dem Autohändler gut, bevor sie es einen oder zwei Tage später ihrerseits erhält. Hier reduziert die neue Generation des SIC-Systems Risiken, indem es die Zahlungen innert weniger Sekunden abwickelt, und es bietet die Möglichkeit für neue Lösungen, die es heute noch gar nicht gibt.
D.M.: Wir haben es hier auch mit der Frage der Effizienz und der Sicherheit zu tun. Das, was wir in SIC mit dem Echtzeit-Bruttoverfahren im Interbankenbereich haben, soll auch im Verhältnis zwischen den Banken und ihren Kunden nachvollzogen werden. Die durchgängige Echtzeitverarbeitung der Transaktionen vom Zahler über die Banken bis zum Zahlungsempfänger und damit einhergehend deren Unwiderruflichkeit erhöht die Robustheit des Systems.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Magazin clearit, der Schweizer Fachzeitschrift für den Zahlungsverkehr. Abonnieren Sie das kostenlose Magazin und verpassen Sie in Zukunft keine Ausgabe mehr.
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