Die Covid-19-Pandemie hat in allen Ländern eine fast beispiellose Verunsicherung und eine erhöhte Volatilität an den globalen Finanzmärkten hervorgerufen. Inbesondere im März 2020 hat sie die operative Widerstandsfähigkeit diverser systemkritischer Finanzinfrastrukturen auf die Probe gestellt. Massive Turbulenzen an den Finanzmärkten können das Finanzsystem und damit die gesamte Wirtschaft destabilisieren. Es ist entscheidend, dass die Märkte in solchen Zeiten nahtlos funktionieren: Offene Märkte ermöglichen eine faire und geordnete Preisbildung, sodass Anleger auf die Unsicherheit, mit der sie konfrontiert sind, reagieren können.
Würde die zentrale Finanzmarktinfrastruktur nicht funktionieren, würde dies die ohnehin schon erhöhte Unsicherheit noch verschärfen und noch grössere Schäden verursachen: Anleger könnten nicht mehr auf die Ereignisse reagieren, den Wert ihrer Anlagen nicht mehr genau ermitteln und ihre Portfolios nicht mehr flexibel an die Entwicklungen anpassen. Dies hätte unangenehme Folgen für die Mehrheit der Bevölkerung, die ihr Geld für die Altersvorsorge und in Ersparnissen angelegt hat. Daher konzentriert sich SIX darauf, eine funktionierende Marktinfrastruktur – einschliesslich der Schweizer Börse – zu betreiben, um dem Markt und den drauf angewiesenen Anlegern zu helfen, den Sturm zu überstehen.
Schweizer Börse: Volatilität lässt Handelsvolumen auf nie dagewesenes Niveau ansteigen
An der Börse befeuert Unsicherheit die Volatilität, und Volatilität befeuert den Handelsumsatz. Wachsende Unsicherheit führt zu zunehmender Volatilität und diese wiederum zu steigenden Umsätzen. Mitte März schoss die im VSMI abgebildete Volatilität um über 70% in die Höhe – das ist ein Vielfaches dessen, was wir in den vergangenen Jahren (die im historischen Vergleich allerdings weniger volatil waren) erlebt haben. Die erhöhte Volatilität spiegelt die Unsicherheit an den Aktienmärkten wider und hat zu massiven Wertverlusten bei Anlagen geführt. Dies hatte wiederum sehr hohe Handelsvolumen an der Schweizer Börse zur Folge – und anders als 2015, als die Schweizerische Nationalbank den Schweizer Franken vom Euro abkoppelte, hielt diese Volatilität nicht nur einen, sondern mehrere Handelstage an.
Infolge dessen gab es im März 2020 mehrere neue Rekorde, sowohl beim Handelsumsatz – mit CHF 293,0 Milliarden +80,9% höher als im Vormonat – als auch bei der Zahl der Transaktionen – +127,7% auf insgesamt 17‘399‘685. Diese neuen Allzeithochs übertrafen die bisherigen Höhepunkte von Januar 2015 und Februar 2020 um 61,3% bzw. 127,7%.
Ein hoch volatiles Handelsumfeld führt in der Regel dazu, dass Marktteilnehmer eine sichere Ausführung bevorzugen, statt Preisverbesserungen anzustreben – ein traditionelles Dilemma. Der nicht einsehbare Liquiditätspool der Schweizer Börse, SwissAtMid, bricht mit dieser Tradition. Er bietet die Möglichkeit, beides gleichzeitig zu erreichen – sichere Ausführung und bessere Kurse. In der zweiten Märzhälfte überstieg der Umsatz im SwissAtMid an 11 von 15 Handelstagen die Marke von CHF 1 Milliarde, und Marktteilnehmer erzielten in dieser volatilen Zeit Kursverbesserungen von über CHF 8 Millionen.
Offene Märkte halten dem Sturm besser stand
Die Ereignisse im März 2020 sind der Grund, weshalb unsere Systeme bei SIX auf Spitzenwerte und nicht auf Durchschnittsbelastungen abgestimmt sind. Der Handel an der Schweizer Börse ist stets fair und geordnet geblieben. Unsere Systemkapazität konnte das umfangreiche Volumen und die hohe Geschwindigkeit des Handels sehr gut bewältigen. Die Kapazitätsauslastung lag in Spitzenzeiten im unteren zweistelligen Bereich, und wir hatten keine Ausfälle oder Systemprobleme. Dies gilt nicht nur für die Kotierung und den Handel, sondern auch für unsere erstklassigen Nachhandelssysteme.
Wir hielten die Schweizer Börse aber nicht nur deshalb geöffnet, weil wir es konnten, sondern auch weil wir es für absolut wichtig erachteten, den Markt bei der Bewältigung der Krisensituation zu unterstützen und den Anlegern die Möglichkeit zu geben, zu agieren. Es gab durchaus Stimmen, die eine Schliessung der Märkte befürworteten, doch solche Vorschläge sind unseres Erachtens kontraproduktiv und könnten die Krise sogar noch verschärfen. Die philippinische Börse in Manila – um nur ein Beispiel zu nennen – wurde für zwei Tage geschlossen, und als dann der Handel wieder aufgenommen wurde, brachen die Aktienkurse um rund 30% ein. Eine Schliessung der Märkte beseitigt nicht die Ursache der Unsicherheit und Volatilität. Sie würde lediglich die Transparenz hinsichtlich der Bewertung von Anlagen beseitigen und den Anlegern die wichtige Möglichkeit nehmen, aktiv zu werden. Dies führt dazu, dass sich diese Effekte vervielfachen, wenn die Märkte wieder öffnen.
Wir sind daher auch der Meinung, dass die Preisbildung nicht gestört werden sollte, d.h. sie sollte unvoreingenommene Bewertungen widerspiegeln. Wir verbieten auf unserem Markt bereits das so genannte „Naked Short-Selling“ – d.h. Leerverkäufe, bei denen der Verkäufer das Wertpapier weder besitzt noch es sich leihen kann – und unsere Marktüberwachung sorgt für eine Aussetzung des Handels bei erheblichen Kursbewegungen. Wir sind gegen generelle Verbote von Leerverkäufen, da sie sich negativ auf die Echtzeit-Preisbildung auswirken können. Oberstes Gebot für das geordnete Funktionieren der Märkte ist für uns, dass sich Anleger zeitnah an veränderte wirtschaftliche Gegebenheiten anpassen können – dies gilt auch für die Anwendung von Mechanismen wie Leerverkäufe –, um die Auswirkungen von Preisanpassungen abzumildern.
SIX als Synonym für Stabilität in Krisenzeiten
Der März 2020 war – in vielerlei Hinsicht – ein ausserordentlicher Monat, und es lässt sich unmöglich vorhersagen, was die nahe Zukunft bringen wird. Ein positiver Aspekt der Krise ist, dass sie gezeigt hat, dass man sich in Krisenzeiten auf die europäische Finanzmarktinfrastruktur verlassen kann. SIX stellt weiterhin ein faires und geordnetes Handelsumfeld bereit, um den Markt zu unterstützen: Die Schweizer Börse ist geöffnet und unterstützt die Marktteilnehmer und Anleger dabei, die aktuelle Unsicherheit möglichst gut zu meistern.
Christian Reuss, CFA
Christian Reuss ist Head SIX Swiss Exchange und Mitglied der Geschäftsleitung der Geschäftseinheit Securities & Exchanges bei SIX. Zuvor verantwortete er den Kassamarkt der Schweizer Börse und davor den Bereich Sales & Product Management (inklusive Marketing) bei SIX Swiss Exchange. Von Juni 2009 bis Juni 2013 war er CEO von Scoach (Joint Venture Deutsche Börse und SIX). Von 2002 bis 2009 war Christian Reuss an verschiedenen Standorten bei Goldman Sachs tätig, zuletzt in Zürich als Executive Director in der Private Investor Products Group mit europaweiter Verantwortung. Christian Reuss hält einen Abschluss als Diplomkaufmann der Goethe Universität in Frankfurt, einen Master of Business Administration der University of Iowa und ist CFA Charterholder. Zudem hat er weiterführende Executive Management Ausbildungen an der Harvard Business School (GMP) und am IMD absolviert.