In der EU wurden 2019 über 48 Prozent der unbaren Transaktionen mit Kredit- oder Debitkarten abgewickelt. Diese Kennzahl dürfte sich letztes Jahr Covid-bedingt erheblich erhöht haben. Dabei lässt sich feststellen, dass die europäischen Zahlungslösungen mit Schemes wie der Girocard/Giropay (DE), Card Bancaire (FR) oder Ideal (NL) weiterhin stark fragmentiert sind. Es profitieren an diesen Entwicklungen der Zahlungen an der Ladenkasse oder im E-Commerce überproportional die globalen, amerikanischen Akteure wie Mastercard und Visa.
Die EU will mehr Wettbewerb
Mit ihrem Strategiepapier will die EU-Kommission deshalb den Wettbewerb stärken; nicht nur mit einem europäischen Scheme für kontaktlose, karten- und mobile-gestützte Zahlungen. Weitere Anreize für paneuropäische Zahlungsinitiativen sollen durch angepasste Regulierungen geschaffen werden, die länderübergreifende Interoperabilität sicherstellen, Standardisierung fördern und den niedrigschwelligen und vor allem diskriminierungsfreien Zugang auf bestehende Kundenschnittstellen ermöglichen.
Zusätzlich will die Kommission die Zahlungen in den Nicht-SEPA-Raum vereinfachen und paneuropäische Echtzeit-Zahlungslösungen fördern.
Instant Payment als Kernelement
Die Abwicklung von Instant Payments (per Definition <10 Sek., i.d.R. deutlich schneller) wird als eine der wichtigsten technischen Grundlagen für die Entwicklung innovativer und effizienter Zahlungslösungen formuliert. Das entsprechende Scheme ist bereits seit 2017 aktiv, jedoch ist der Instant Payment Standard (SCT Inst) heute noch nicht ausreichend weit verbreitet – Stand Januar 2021 bieten nur 57 Prozent aller europäischen Banken solche Zahlungen an. Der effektive Anteil an Echtzeitüberweisungen lag im 4. Quartal 2020 bei knapp 8 Prozent. Zudem verlangen einige der teilnehmenden Banken dafür zusätzliche Gebühren von ihren Kunden. Es kann daher vermutet werden, dass nach Fristablauf Ende 2021 die Kommission eine verpflichtende Teilnahme für Banken aussprechen wird und bereits heute fordert, dass diese Zahlungen den Kunden zu gleichen Kosten wie heutige Überweisungen zur Verfügung gestellt werden. Das wird zur Folge haben, dass viele Banken, deren Systemen Legacy-Technologie und Stapelverarbeitung zugrunde liegen, mit massiven Investitionen zu rechnen haben, um die notwendige Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit sicherzustellen. SCT Inst soll darüber hinaus durch einen europaweit standardisierten QR-Code sowie das bereits definierte SEPA Request-to-Pay (RTP) komplettiert werden.
Disruptives Szenario
Die vorliegende Strategie der EU-Kommission geht weit über vorherige Ansätze hinaus. Dies kann bei systematischer Umsetzung dazu führen, dass Instant Payment als Treiber für komplett digitale und automatisierte Geschäftsprozesse bei Kunden, Banken sowie dem Handel fungiert und disruptiv auf heute weit etablierte Abwicklungsstrukturen wirkt. Kunden könnten dann z.B. mittels unterschiedlicher Zahlungsinstrumente sicher und bequem Zugriff auf ihr Bankkonto erhalten, um am POS oder im Online-Check-out Echtzeitüberweisungen auszulösen (s. Abbildung). Diese könnten unmittelbar im System des Händlers gutgeschrieben und zugeordnet werden. Eine Abwicklung von Transaktionen könnte dabei mit gänzlich anderen Providern und ggf. ohne die etablierten Kartenorganisationen innerhalb von Sekunden abgeschlossen sowie durch vielfältige Zusatzservices angereichert werden. Dies ist selbstredend kein garantiertes Szenario. Vielmehr kann es auf der anderen Seite auch dazu kommen, dass die Umsetzung zwar massive Investitionen in Infrastrukturen notwendig macht, die Anwendungsfälle aber dennoch begrenzt bleiben, da in der Zwischenzeit bestehende Lösungen eine Vielzahl der Kundenbedürfnisse abdecken und der geschaffene Mehrwert den Aufwand nicht rechtfertigt. Sicher ist nur, dass Instant Payment eine zentrale Rolle spielen wird.
Internationalisierung des SEPA-Schemes
Um den Euro als Währung und Europa als Volkswirtschaft zu stärken, sollen Zahlungen in andere Währungsräume schneller, günstiger und einfacher durchführbar sein. SEPA soll somit zu einem internationalen Standard werden, der es z.B. der wachsenden Gruppe von Arbeitsmigranten vereinfacht, Geld in deren Heimat ausserhalb der EU zu überweisen und die durchschnittlichen Kosten für globale Finanztransfers von heute rund 7 Prozent signifikant zu reduzieren. Die Kommission formuliert für sich den Anspruch, SEPA-Standards als Exportgut zu deklarieren und Standardisierung auch über die Grenzen Europas hinaus zu fördern.
Implikationen für die Schweiz und Liechtenstein
Sowohl in der EU als auch in der Schweiz nimmt die Vielfalt im Zahlungsverkehr für Endkunden zu. Während viele Zahlvorgänge in der Schweiz bereits elektronisch stattfinden, werden eine Vielzahl an Neuerungen in den Ökosystemen vorgestellt. Mit TWINT sind in der Schweiz bereits erste Schritte in Richtung einer nationalen unabhängigen Lösung angestossen worden, wenngleich dies nicht auf Instant Payment beruht. Während im EWR Open Banking regulatorisch vorangetrieben wird, setzt die Schweiz auf Entwicklungen im Markt (z.B. bLink). Liechtenstein wird als EWR-Mitglied direkt von der EU-Strategie tangiert, doch auch die Akteure auf dem Finanzplatz Schweiz sollten aufgrund der engen Verzahnung mit dem EWR die Stossrichtung dieser Strategie überprüfen. Es empfiehlt sich, potenzielle Implikationen frühzeitig zu analysieren und etwaige Chancen für die jeweilig eigene Situation abzuleiten. Paradigmenwechsel wie Instant Payment, Open Banking oder eine umfassende Interoperabilität in Richtung EWR erfordern auch hier weitreichende Anpassungen in den Infrastrukturen und bestrafen eine passive Position einzelner Teilnehmer auf Dauer. Selbst wenn die Umsetzung bedeutet, dass eigene Geschäftsmodelle um- oder neugedacht werden müssen (beispielsweise der Umgang von Bankdaten im Kontext von Open Banking oder die Rolle des Acquirers), werden die Schweiz und Liechtenstein als wirtschaftliche Partner auf mittel- bis langfristige Sicht von der Kooperation mit der EU und ihren Teilnehmer profitieren und weitere Geschäftsfelder etablieren können.
Exemplarischer Ablauf von klassischen Kartenzahlungen gegenüber Echtzeitüberweisungen
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Magazin clearit, der Schweizer Fachzeitschrift für den Zahlungsverkehr. Abonnieren Sie das kostenlose Magazin und verpassen Sie in Zukunft keine Ausgabe mehr.
Jetzt clearit abonnieren