2020 war ein in vielerlei Hinsicht aussergewöhnliches Handelsjahr. Ist an der Schweizer Börse inzwischen Langeweile eingekehrt?
Im positiven Sinn «langweilig» ist höchstens die Stabilität unserer Infrastruktur, da verzichten wir gerne auf Aufregung – ansonsten sicher nicht. Aber wir haben 2021 eine Rückkehr zur Normalität erlebt. Einerseits, weil sich die Handelsvolumen und die Volatilität nach den Rekorden vom Vorjahr auf tieferen Niveaus stabilisiert haben, andererseits, weil wir seit Februar wieder mit UK-basierten Multilateral Trading Facilities um Marktanteile im Schweizer Aktienhandel konkurrieren. Auf diesen Moment haben wir uns vorbereitet, seit uns die EU die Börsenäquivalenz per Mitte 2019 verweigert hatte, denn wir begrüssen einen gesunden Wettbewerb und offene Märkte.
Haben diese politischen Querelen die Wachstumsdynamik in den Produktsegmenten der Schweizer Börse beeinträchtigt?
Erfreulicherweise nicht, denn auch hier blieb unsere wettbewerbsorientierte Einstellung unverändert: Wir wollen unseren Handelsplatz mit Innovationen und Verbesserungen, die sich an Marktbedürfnissen orientieren, für Produktemittenten und Handelsteilnehmer attraktiver machen. Davon profitieren auch die Endanlegerinnen und -anleger, in Form von mehr Diversifikationsmöglichkeiten in Bezug auf die Auswahl der Produktanbieter und Anlagethemen sowie besserer Liquidität. Das klingt in der Theorie einfach und logisch, ist in der Praxis jedoch kein Selbstläufer. Unser Know-how und unsere enge Zusammenarbeit mit der Branche sind hier der Schlüssel zum Erfolg. Darum gebührt die Anerkennung der Schweizer Börse durch aktuelle Auszeichnungen, etwa von SRP Europe bei den strukturierten Produkten und von XENIX bei den Exchange Traded Funds, ganz klar auch unseren Kunden.
Unsere enge Zusammenarbeit mit der Branche ist der Schlüssel zum Erfolg.
Können Sie konkrete Beispiele für die erwähnten Innovationen nennen?
Für Exchange Traded Funds haben wir «Quote on Demand» lanciert. Es kombiniert den klassischen Quote-Driven-Handel im öffentlichen Orderbuch mit einem Request-for-Quote-Service in einem zusätzlichen Orderbuch – und zwar inklusive Abwicklung via Central Counterparty, die Gegenparteirisiken minimiert. Handelsteilnehmer können wie bisher limitierte Aufträge ins bestehende Orderbuch stellen und zusätzlich ihr gewünschtes Volumen ohne Vorhandelstransparenz über den neuen Service abwickeln und damit den Markt-Impact des Auftrages verringern. Dabei wird der beste Preis aus dem Quote-on-Demand-Service mit den im Orderbuch bereitgestellten Kursen verglichen. Bereits wenige Monate nach Einführung führte Quote-on- Demand zu messbaren Preisverbesserungen. Es ist ein sehr innovativer Service und für viele Marktteilnehmer noch gewöhnungsbedürftig. Wir erwarten in der zweiten Jahreshälfte 2021 signifikantes Wachstum, welches die Qualität der Abschlüsse für die Teilnehmer weiter verbessern wird.
Wie hat sich dies auf die Nachfrage nach Börsendienstleistungen ausgewirkt?
Die Nachfrage nach Anlagemöglichkeiten und der Trend zu passiven Anlageprodukten spiegelt sich im Ausbau der Finanzprodukte durch die Emittenten wider. Wir konnten in den Segmenten für Exchange Traded Funds, Exchange Traded Products und strukturierte Produkte im laufenden Jahr bereits zehn neue Emittenten an der Schweizer Börse begrüssen. Entsprechend ist auch die Anzahl und Vielfalt der Produkte gestiegen – denn wie eingangs erwähnt spornt Konkurrenz zu Innovationen an. Besonders deutlich wird das bei den Anlageprodukten auf Kryptowährungen, wo sich der Wachstumstrend aus dem letzten Jahr noch verstärkt hat und wir unsere Rolle als global führender regulierter Handelsplatz ausgebaut haben. In diesem Jahr haben die weltweit ersten physisch besicherten Exchange Traded Products auf Cardano, Polkadot, Solana und Stellar unsere einzigartige Auswahl bereichert. Und allein im Monat Februar 2021 wurde mit 1,2 Milliarden Schweizer Franken der gesamte Handelsumsatz von 2020 übertroffen. Wer an den aktuellsten Zahlen interessiert ist, dem empfehle ich ein kostenloses Abonnement unseres monatlichen Krypto-Reports.
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Jetzt registrierenWir sind uns durchaus bewusst, dass wir mit der Schweizer Börse den Draht zu den Privatanlegerinnen und -anleger nicht verlieren dürfen.
Die Vielfalt an Anlageprodukten auf Kryptowährungen an der Schweizer Börse trifft also auf eine hohe Nachfrage?
Das ist korrekt, und die Nachfrage kommt insbesondere von institutioneller Seite – anders wären diese Rekordvolumen nicht zu verzeichnen. Dabei übernimmt SIX mit der Börse eine Rolle als Wachstumsbeschleunigerin. Wir haben früh einen klaren Rahmen geschaffen und so den Bedürfnissen von Emittenten und Investoren entsprochen. Regeln und Standards geben Sicherheit und ermöglichen Skalierung – das gehört zu unseren Kernaufgaben. So sind die aus dem Jahr 2018 stammenden Zulassungskriterien für Krypto-Basiswerte stetiger Veränderung unterworfen und bedürfen einer Aktualisierung. Hier arbeiten wir mit Marktteilnehmern zusammen um zukunftsgerichtete Zulassungskriterien zu erarbeiten, welche den Anlegerschutz aber auch die Nachfrage nach Kryptowährungen berücksichtigen.
Im vergangenen Jahr scheinen auch viele Privatanlegerinnen und -anleger das «Börselen» entdeckt zu haben. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Diesen Trend können wir bestätigen, das zeigen uns die Abschlussgrössen. Hier definieren wir gewisse Bandbreiten und haben beobachtet, dass zum Beispiel bei den Exchange Traded Funds die Anzahl kleiner Aufträge bis 10’000 Schweizer Franken deutlich gestiegen ist – ein Zeichen für zunehmende Anlagetätigkeit von Privaten. Auch weltweit hat deren Zahl und Gewicht zugenommen, und die GameStop-Geschichte hat als «Showdown zwischen Hedge Funds und Kleinanlegerinnen und -anlegern» für reichlich Aufsehen gesorgt. Selbst wenn die Märkte in den USA und der Schweiz nicht vergleichbar sind: Wir sind uns durchaus bewusst, dass SIX mit der Schweizer Börse den Draht zu den Privatanlegerinnen und -anlegern nicht verlieren dürfen. Wer per Smartphone traden möchte, hat heute viele Möglichkeiten, und wir können nicht stillschweigend davon ausgehen, dass alle die Vorteile des Handels an einer regulierten Börse mit Transparenz, Liquidität, Anlegerschutz und Gleichbehandlung kennen. Wir werden uns darum Gedanken machen, wie wir sowohl bezüglich des Informationsangebots als auch im Hinblick auf spezifische Services den Privatanlegerinnen und -anlegern etwas mehr bieten können – damit der Wettbewerb wiederum Innovation auslöst.
Das Interview mit André Buck ist ursprünglich im ETP & Indexing Guide 2021/2022 erschienen.
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André Buck
André Buck, kümmert sich als Global Head Sales & Relationship Management SIX Swiss Exchange um den Vertrieb verschiedenster Services und Produkte für die Schweizer Börse. Zusätzlich ist er für die Betreuung wie auch für die Akquisition der Börsenteilnehmer zuständig. Weiter verantwortet André Buck den Vertrieb und die Weiterentwicklung der CONNEXOR-Referenzdaten wie auch des Datengeschäftes im Zusammenhang mit der Schweizer Börse. Mitte 2009 stieg er bei der Börse für Strukturierte Produkte (ehemals Scoach) als Head Sales & Marketing ein. Seit 2016 ist er Vorsitzender der Kommission für Strukturierte Produkte. Seine Erfahrung hat ihn ebenfalls nach Hong Kong gebracht, wo er seit 2018 als Mitglied des Verwaltungsrates eines internationalen Unternehmens im Bereich strukturierte Produkte agiert.