«Frauen sind in technischen Berufen und Unternehmen in der ganzen Welt sehr begehrt»


«Frauen sind in technischen Berufen und Unternehmen in der ganzen Welt sehr begehrt»

Judith Bellaiche ist Geschäftsführerin des ICT-Wirtschaftsverbandes Swico und GLP-Nationalrätin. Sie engagiert sich für die Nachwuchsförderung und Weiterbildung und ist davon überzeugt, dass Frauen und Männer in allen Berufen ungefähr gleich vertreten sein sollten. Doch davon seien wir noch weit entfernt.

Sie waren Juristin und Unternehmerin. Wie sind Sie zur IT gekommen?

Es ist die Politik, die mich zur IT gebracht hat. Vor Jahren fing ich an, mich für Start-ups und Innovation in der Schweiz zu engagieren, und das hat mich dann zu Fragen der Digitalisierung geführt. Ich war von dieser Welt und ihren Möglichkeiten einfach fasziniert.

Wieso sind Frauen heutzutage in der IT-Branche immer noch stark untervertreten?

Frauen sind in technischen Berufen und Unternehmen in der ganzen Welt sehr begehrt und haben sehr gute Karrierechancen. Dass Frauen in der IT-Branche nach wie vor untervertreten sind, hängt damit zusammen, wie wir IT-Berufe an Kinder und Jugendliche vermitteln – und zwar bereits in der Schule. Menschen assoziieren die IT automatisch mit Mathematik und spröder Zahlenreiterei, das kann eine abschreckende Wirkung haben. Dabei kann die IT extrem kreative und spannende Berufsmöglichkeiten eröffnen. Wir sollten Berufsbilder vermitteln, anstelle von Studienfächer: Schliesslich studieren junge Leute auch nicht Medizin, weil sie gerne Biochemie büffeln, sondern weil sie Leben retten wollen.

Inwiefern trägt die Erziehung zu Rollenbildern bei?

Rollenverteilungen in der Familie, aber auch Vorbilder ausserhalb der Familie, sind wichtig. Nur wenige Mädchen haben heute schon eine Mutter oder Tante, die Applikationen entwickelt oder an der Spitze eines IT-Unternehmens steht. Das entwickelt sich erst. Auch in der Schule ist es weit verbreitet, dass MINT-Fächer (Anm. der Redaktion: Die Abkürzung von MINT steht für die Fachrichtungen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) von männlichen Lehrkräften besetzt sind, nicht von Frauen. Wir leben in der Schweiz immer noch in sehr traditionellen Rollenbildern, da sind andere Länder bereits weiter.

Informatiklehre bei SIX beginnen

Die Informatiklehre bei SIX bietet interessierten Mädchen und Jungen zwei verschiedene Ausbildungen an. Plattformentwicklerinnen und -entwickler sind für den Aufbau und die Wartung von Informatikinfrastrukturen verantwortlich: Je nach Aufgabengebiet testen sie Server, Netzwerke, PCs oder Software und schreiben teilweise eigene Programme oder erweitern Gerätekonfigurationen. Applikationsentwicklerinnen und -entwickler schreiben Programme beispielsweise für die Buchhaltung, die Produktionsplanung oder den Zahlungsverkehr. Weiter beurteilen sie Probleme und erarbeiten Lösungsvorschläge. Nach Abschluss der Lehre steht den Auszubildenden eine berufliche Zukunft innerhalb des Unternehmens offen.

Was halten Sie vom Schweizer Bildungssystem?

Es ist solide und bietet für jede und jeden einen Weg. Dank dem dualen Bildungsprinzip haben wir ein besonders engmaschiges System an Bildungswegen, die auch Individualität ermöglichen. In der Grundbildung sind wir allerdings stehen geblieben. Es wird immer noch derselbe Schulstoff vermittelt wie vor 50 Jahren, obwohl sich unsere Welt extrem weiterentwickelt hat.

Wo gibt es Verbesserungspotenzial?

Wir müssen relevante Lerninhalte vermitteln, die derzeit absolut fehlen. Dazu gehören natürlich digitale Kompetenzen, aber etwa auch der Umgang mit Geld, mit Recht, oder die Grundzüge der Wirtschaft und Politik. In der Berufsschule sollten Grundkenntnisse des Unternehmertums gelehrt werden. Die traditionelle Vorstellung, dass man später mal in ein Angestelltenverhältnis kommt und 40 Jahre für dasselbe Unternehmen arbeitet, ist völlig überholt. Wichtig ist, dass wir jungen Menschen Fertigkeiten übermitteln, die sie dann in Berufsbilder transformieren können. Dazu gehören technische und technologische Kenntnisse, aber auch Sozialkompetenzen.

Was unternehmen Sie, damit Frauen in der IT-Branche stärker vertreten sind?

Ich stelle mich als Person in der Öffentlichkeit zur Verfügung, etwa als Referentin oder Podiumsteilnehmerin. Ich gebe Interviews und mische mich in Diskussionen ein. Und was sehr wichtig ist: Ich versuche, Frauen zu vernetzen.