Experten aus der gesamten Branche trafen sich am Post Trade Forum, dem Flagship Event von SIX, in London. Es war die erste Präsenzveranstaltung dieser Art seit 2019.

Um welche Themen ging es hauptsächlich?

Digitale Vermögenswerte – Chancen erkennen

Digitale Vermögenswerte haben stürmische Zeiten hinter sich. Zunächst einmal fiel letzten Monat die Marktkapitalisierung von Kryptowährungen auf USD 850 Milliarden[1] – ihr Höchstwert lag 2021 bei USD 3 Billionen. Gleichzeitig sendete der Zusammenbruch von FTX Schockwellen durch die gesamte Branche. Doch es gibt auch Gründe, optimistisch in die Zukunft digitaler Vermögenswerte zu blicken.

Bei den Kryptowährungen, die allgemein als ausgesprochen volatile digitale Vermögenswerte angesehen werden, prüfen die Aufsichtsbehörden aktuell, wie sich der Markt kontrollieren liesse. Auf diesem Wege könnte die Branche sich selbst institutionalisieren.

Laut Alexandre Kech, Business Head Digital Securities bei SIX Digital Exchange (SDX), müssen die Aufsichtsbehörden weltweit einen einheitlicheren Ansatz bei der Kontrolle von Kryptowerten bzw. den entsprechenden Anbietern verfolgen. So könnte verhindert werden, dass Anbieter von Kryptowerten ihr Geschäft in Offshore-Jurisdiktionen mit wesentlich lockereren Vorschriften verlagern, was bei FTX der Fall war. Demnach sind gemeinsam erarbeitete, sinnvolle Vorschriften unerlässlich, um Anleger schützen zu können.

Über Kryptowährungen hinaus herrscht reges Kundeninteresse an regulierten Security Tokens. Hierbei werden Vermögenswerte digitalisiert und in handelbare Tokens umgewandelt. Diese Tokens, deren Wert mit realen Vermögenswerten korreliert, können verbrieft und in kleinere Einheiten aufgeteilt werden, sodass mehr Anleger Zugang zu Anlageklassen erhalten, die zuvor unerschwinglich für sie gewesen wären.

Eine Tokenisierung ist auch bei illiquiden Vermögenswerten, beispielsweise Infrastruktur, Immobilien oder Kunstwerken, möglich, deren Preisentwicklung weitestgehend von den Aktienmärkten abgekoppelt ist. Auch sie dienen als effektive Absicherung gegen Inflation und ermöglichen gleichzeitig eine grössere Portfoliodiversifikation. Bei einem erfolgreichen Einsatz kann mithilfe der Tokenisierung Liquidität in illiquide Anlageklassen geleitet werden.

Ein Experte, der sich auf die Chatham House Rule beruft, erklärt, der Handel mit Tokens unterscheide sich nicht grundlegend vom Handel mit traditionellen Wertpapieren, da etablierte Finanzmarktinfrastrukturen, beispielsweise Börsen, multilaterale Handelssysteme (Multilateral Trading Facilities, MTFs), zentrale Gegenpartei-Clearingstellen (Central Counterparty Clearing Houses; CCPs) und globale Verwahrstellen, weiterhin ihren Platz finden können.

Post Trade auf der Suche nach seinem Platz im Ökosystem der digitalen Vermögenswerte

Javier Hernani, Head Securities Services bei SIX, sieht umfangreiche Möglichkeiten für Post-Trade-Anbieter in den Märkten für digitale Vermögenswerte. Wie also können sich Post-Trade-Anbieter das wachsende Interesse der Anleger an digitalen Vermögenswerten zunutze machen?

Bei der Sicherung digitaler Vermögenswerte werden Verwahrstellen wohl eine entscheidende Rolle spielen, auch wenn die aktuellen Marktteilnehmer gewisse strukturelle Anpassungen an ihren bisherigen Geschäftsmodellen vornehmen müssen. Darüber hinaus dürften institutionelle Anleger nach dem Zusammenbruch von FTX bevorzugt mit Verwahrstellen für digitale Vermögenswerte zusammenarbeiten, die im Eigentum von Banken oder Finanzmarktinfrastrukturen stehen und von diesen betrieben werden, denn diese unterliegen strengen Vorschriften und bilanziellen Eigenmittelanforderungen. Einer Führungskraft aus dem Bereich Securities Services zufolge zeigen Verwahrstellen zwar Interesse an der Unterstützung digitaler Vermögenswerte, doch es werden nur langsam Fortschritte erzielt.

Auch wenn CCPs gegenüber der Vorstellung aufgeschlossen sind, das Clearing für neue Anlageklassen zu übernehmen, gilt es, bei digitalen Vermögenswerten Vorsicht walten zu lassen. «Zu unseren Aufgabengebieten gehört es, neue Anlageklassen zu verstehen und eventuell Anleger über eine klassische, regulierte Finanzinfrastruktur den Zugang zu neuen Anlageklassen zu ermöglichen», so Laura Bayley, Head Clearing Services bei SIX. Angesichts ihrer Systemrelevanz müssen CCPs laut Bayley einen bedachten und vorsichtigen Ansatz für das Clearing digitaler Vermögenswerte oder auch das Akzeptieren digitaler Vermögenswerte als Sicherheit wählen. Sie räumte jedoch auch ein, dass CCPs in naher Zukunft wohl keine digitalen Vermögenswerte als Sicherheit akzeptieren werden.

Custody auf dem Weg zum nächsten Level

Während die USA, Kanada und Indien weiter mit Hochdruck an der Einführung eines T+1-Abwicklungssystems arbeiten, befassten sich Experten auf dem Post Trade Forum von SIX mit der Frage, welche Folgen diese Veränderungen für den breiteren Markt haben könnten.

Die Gründe für T+1, insbesondere ein geringeres Abwicklungsrisiko, Einsparungen und Liquiditäts­optimierung, wurden ausführlich dargelegt. Doch auch die mutmasslichen Herausforderungen bei einer kürzeren Abwicklungsdauer, unter anderem ein höheres Währungsrisiko, die Gefahr einer Zunahme an Abwicklungsausfällen sowie die operativen Herausforderungen beim Matching & Reconciling innerhalb einer so knappen Zeitspanne, wurden umfassend erläutert. Nichtsdestotrotz erklärte ein Experte auf dem Forum, dass vor der Einführung des T+2-Systems ähnliche Warnungen zu hören waren, ohne dass sich diese Ängste jemals bestätigt hätten. Demnach würde die Einführung von T+1 vermutlich genauso reibungslos wie die Einführung von T+2 verlaufen.

Doch es gibt auch gute Gründe, die gegen die Einführung des T+1-Systems in Europa sprechen. Marcus Harreus, Head Commercials bei SIX, erklärt, dass sich die Einführung eines T+1-Systems in einem homogenen Markt wie den USA, in dem es nur wenige FMIs gibt, deutlich unkomplizierter gestaltet als in der EU mit ihren zahlreichen FMIs und unterschiedlichen regulatorischen Rahmenbedingungen.

Darüber hinaus, so Harreus, habe die EU gerade erst im Rahmen der Verordnung über Zentralverwahrer das sogenannte «Settlement Discipline Regime» zur Vermeidung von Abwicklungsausfällen eingeführt. Dieser Aspekt lag eindeutig im Fokus der Aufsichtsbehörden, nicht die Einführung eines T+1-Systems. Trotz dieser Ängste machen erste Überlegungen zu T+0 und sogar dem sogenannten «atomic settlement», also der sofortigen Abwicklung, die Runde. Letztere befindet sich bei SDX bereits in einer Testphase, so Alexandre Kech.

Nebendienstleistungen könnten über Erfolg oder Misserfolg von Post-Trade-Anbietern entscheiden

In Zeiten eines immer härteren Wettbewerbs um den Wallet Share müssen Post-Trade-Anbieter unter Beweis stellen, dass sie über ihr Kernangebot, z. B. Custody, hinaus ein breites Spektrum an Dienstleistungen bieten können. Stephan Hänseler, Head International Custody Operations bei SIX, erklärt, dass Anbieter mithilfe von Nebendienstleistungen neue Mandate für sich gewinnen können, insbesondere bei Kunden, die die Anzahl ihrer Gegenpartei-Beziehungen reduzieren wollen.

Als Beispiel für diese Nebendienstleistungen nennt Hänseler den Advanced Tax Service (ATS) von SIX, eine Komplettdienstleistung von Anfang bis Ende in Erweiterung des Standardangebots an Steuerrückforderungsleistungen. Auch die kürzliche Übernahme des 50%-Anteils an REGIS-TR von Clearstream trägt dazu bei, dass SIX ihren Kunden ein optimiertes Dienstleistungsangebot präsentieren kann. Die Fähigkeit, das eigene Spektrum über klassische Standardprodukte wie Custody hinaus zu erweitern, wird eine Voraussetzung für den künftigen Erfolg von Post-Trade-Anbietern sein. «Wir betrachten Trade Repository als Nebendienstleistung zu den Tätigkeiten und Post-Trade-Aktivitäten von SIX», so Thomas Steimann, Head Regis-TR bei SIX.

Eine gesamte Branche steht kurz vor tiefgreifenden Veränderungen

Der Erfolgszug digitaler Vermögenswerte und die Verkürzung der Abwicklungsdauer sind nur zwei der Veränderungen im Nachhandel und die Branche muss sich dringend auf diese Transformationen vorbereiten. Und sofern Anbieter ihren Kundenstamm erweitern wollen, müssen sie in Erwägung ziehen, ihren Kunden neue Dienstleistungen anzubieten, die ihr traditionelles Angebot ergänzen.

 

[1] Cointelegraph – 11. November 2022 – Total crypto market drops to $850B as data suggests further downslide