Die nächste Stufe der Harmonisierung

Der erstmals zu Beginn der 2000er-Jahre veröffentlichte Giovannini-Bericht führte alle Barrieren auf, die der Schaffung eines integrierten Clearing- und Abwicklungssystems in der EU entgegenstanden. Auch ein Vierteljahrhundert nach der Erstveröffentlichung ist die EU-Harmonisierung immer noch nicht abgeschlossen und einige der Empfehlungen aus dem Giovannini-Bericht müssen noch umgesetzt werden.

Es gibt jedoch auch einige positive Entwicklungen.

Jesus Benito, Head Domestic Custody & TR Operations bei SIX, hielt in seinem Vortrag auf der Sibos fest, dass die Standardisierung in Europa dank Brancheninitiativen wie ISO 20022 und Target2Securities (T2S) vorangetrieben wird. Er fügte hin, dass Verordnungen – wie die Zentralverwahrerverordnung (CSDR), die Richtlinie über die Rechte von Aktionären (Shareholder Rights Directive 2, SRD 2) und das künftige Single Collateral Management Rulebook for Europe (SCoRE) – ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Beschleunigung der Marktintegration spielen.

Die Branche hat zwar Fortschritte bei der Harmonisierung gemacht, doch Jesus Benito räumt ein, dass noch viel zu tun ist, insbesondere im Zusammenhang mit Quellensteuern und Portfolio-Transfers.

Kürzere Abwicklungszeiten haben weiterhin Priorität

Kürzere Abwicklungszeiten wurden während der diesjährigen Sibos umfassend besprochen.

Im Mai 2024 werden die USA, Kanada und Mexiko ihre Abwicklungszyklen für Aktien von T+2 auf T+1 umstellen, ein Schritt, der laut Benito sich schwieriger als der vorherige Übergang von T+3 auf T+2 gestalten wird.

Die Umsetzung von T+1 dürfte dazu beitragen, Abwicklungs- und Marktrisiken zu verringern, Sicherheiten freizugeben, die nominell von CCPs gehalten werden, und eine branchenweite Automatisierung zu fördern. Sie dürfte aber auch einige Schwierigkeiten mit sich bringen. Aufgrund der kürzeren Zeitfensters für Post-Trade-Aktivitäten könnte das Risiko von fehlgeschlagenen Transaktionen steigen, was zu höheren Kosten und Sanktionen für Finanzunternehmen in bestimmten Märkten führen kann, so Benito.

«Der Abwicklungszyklus bei Devisen ist T+2, das könnte jedoch Finanzinstitute, insbesondere jene in asiatischen Märkten, dazu zwingen, ihre Transaktionen im Voraus zu finanzieren», erklärte Benito. Weitere Bereiche, in denen die Umstellung auf T+1 Schwierigkeiten bereiten könnte, sind die Wertpapierleihe, Corporate Actions und die Abwicklung von Exchange Traded Funds (ETFs).

Aufsichtsbehörden in anderen Teilen der Welt beobachten die Entwicklung in Nordamerika. Experten gehen davon aus, dass T+1 letztlich auch in den europäischen Märkten umgesetzt wird.

Für diesen Fall schlägt Benito vor, dass die EU, Grossbritannien und die Schweiz T+1 abgestimmt umsetzen sollten, um einige der operativen Anlaufschwierigkeiten zu vermeiden, die möglicherweise in Nordamerika auftreten werden, wo kanadische Wertpapiere einen Tag vor US-Wertpapieren im T+1-Zyklus gehandelt werden. Dies liegt daran, dass die USA die Umstellung auf T+1 am Memorial-Day-Wochenende vornehmen, einem Feiertag, der in Kanada nicht begangen wird.

Spielt die CSDR eine Rolle?

Gleichwohl glauben vielen Experten, dass die EU T+1 erst einführen wird, wenn die CSDR vollständig verankert ist.

Eines der Hauptziele der CSDR ist die Verbesserung der Abwicklungsdisziplin durch Verhängung von Geldstrafen gegen die Gegenparteien, die für fehlgeschlagene Transaktionen verantwortlich sind. Trotz bester Absichten der Aufsichtsbehörden verbessert sich die Abwicklungsdisziplin laut Benito in vielen EU-Märkten nicht. Spanien stellt hier eine Ausnahme dar.

Wenn die Quote der fehlgeschlagenen Abwicklungen nicht sinkt, könnte der Strafrahmen von den EU-Aufsichtsbehörden noch verschärft werden. Die Initiative zur Überprüfung der Zentralverwahrerverordnung (CSDR Refit) erwägt die Möglichkeit der Einführung von obligatorischen Eindeckungen (Buy-ins), wenn die Quote der fehlgeschlagenen Abwicklungen nicht sinkt.

Als Reaktion darauf ermuntert Benito Post-Trade-Teilnehmer dazu, ihre operativen Prozesse stärker zu automatisieren, um die Anzahl der fehlgeschlagenen Abwicklungen im System zu verringern.

Digitalisierung – nur nicht übertreiben

Seitdem ChatGPT im vergangenen Jahr unter grossem Aufsehen vorgestellt wurde, befassen sich Experten stärker mit diesem Thema und sinnieren darüber, wie künstliche Intelligenz unser Leben zum Guten oder zum Schlechten verändern wird.

Post-Trade stellt hier keine Ausnahme dar.

Marion Leslie, Head Financial Information und Mitglied der Konzernleitung von SIX, sieht eine Reihe von praktischen Anwendungsmöglichkeiten für KI im Post-Trade-Bereich. «Finanzinstitute können KI als Chance zur Verbesserung ihrer allgemeinen Post-Trade-Erfahrung nutzen», so Marion Leslie.

Sie merkte zudem an, dass KI auch zur Prognose von fehlgeschlagenen Abwicklungen eingesetzt werden kann, insbesondere im Fixed-Income-Markt, wo die Quote der Fehlschläge in der Regel höher ist.

Zwar nutzt eine Reihe von innovativen Intermediären bereits maschinelles Lernen für die Prognose von fehlgeschlagenen Abwicklungen. Ein Bericht der European Securities und Markets Authority (ESMA) kam jedoch zu dem Schluss, dass die meisten CSDs und CCPs KI derzeit nicht einsetzen.

Obwohl es eine Vielzahl von möglichen Anwendungsfällen für KI bei Post-Trades gibt, ist noch viel zu tun, bis dieser Punkt erreicht ist. Marion Leslie hierzu: «Ein reguliertes Finanzinstitut kann keine Geschäfte auf Basis von Informationen aus unbekannten und nicht fachkundigen Quellen tätigen.»

KI kann nur dann effektiv eingesetzt werden, wenn die eingespeisten Daten zuverlässig sind.

«Die Zusammenführung von Daten mit dem Ziel, Abwicklungsprobleme wie die Quote der fehlgeschlagenen Transaktionen zu prognostizieren, ist ohne eine Strukturierung und Normalisierung der Daten schwierig. Zudem müssen Beispiele für vergangene Ereignisse der Art, die wir zu prognostizieren versuchen, abgerufen und gespeichert werden, um die Algorithmen für maschinelles Lernen zu trainieren. Im Falle von generativer KI sollte dieses Wissen in das Model integriert werden. Erst dann können sich Banken allmählich Gedanken über die zukünftigen Einsatzmöglichkeiten von KI machen», so Leslie.

Tokenisierung – die nächste Stufe

Die Schweiz hat in kürzester Zeit ihre Führungsrolle im Bereich digitale Vermögenswerte verfestigt, eine Entwicklung, die laut David Newns, Head of Six Digital Exchange (SDX), durch die progressiven Gesetze des Landes ermöglicht wurde.

Diese Entwicklung verläuft parallel zur Weiterentwicklung des Tokenisierungsmarktes sowie unterstützender Finanzmarktinfrastrukturen (Financial Market Infrastruktures, FMIs).

Im Jahr 2022 wurde SIX der erste Zentralverwahrer mit direktem Zugriff auf SDX, was es einer breiteren Gruppe von Anlegern erleichtern wird, nativ auf digitale CHF-Anleihen zuzugreifen. Dank dieser operativen Verbindung ist es möglich, doppelt kotierte digitale Anleihen an der SDX oder T+2 auf der traditionellen Infrastruktur zu handeln und atomisch abzuwickeln, so Alexander Kech, Head Digital Assets, SDX.

Zu den weiteren wichtigen Meilensteinen zählte laut Kech, dass die SDX als erste DLT-Finanzmarktinfrastruktur (Distributed Ledger Technology) den von der DTIF (Digital Token Identifier Foundation) verwalteten DTI-Standard ISO 24165 umgesetzt hat, einen eindeutigen Identifikator für Digital Ledgers, Tokens und Kryptowährungen.

Aufsichtsbehörden können DTIs nutzen, um Transaktionen mit digitalen Vermögenswerten zu überwachen, die Einhaltung von Bestimmungen zur Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung sicherzustellen sowie Risiken im Zusammenhang mit globalen Stablecoins und anderen digitalen Vermögenswerten zu überwachen. Ferner hat die ESMA im Rahmen des DLT-Pilotprogramms der EU DTI als Risikomanagementmassnahme empfohlen.

KI wird jedoch den Markt nicht über Nacht verändern und das Gleiche gilt für die Tokenisierung.

David Newns stimmte dieser Einschätzung zu. «Die Digital-Asset-Revolution wird nicht über Nacht erfolgen. Der Zeithorizont von Revolutionen im Bankensektor ist ein langfristiger. Von dem Zeitpunkt, zu dem Tokenisierung erwogen wird, bis zu dem Punkt, an dem diese in der Breite umgesetzt ist, können zehn Jahre oder mehr vergehen.

Eine der Herausforderungen bei der Tokenisierung ist die Fragmentierung. Laut Kech verwendet eine Reihe von FMIs und Banken unterschiedliche Blockchain-Infrastrukturen, was zu sogenannten «Tokenisierungs-Inseln» führt.

Infolgedessen werden Tokens in engen Silos gehandelt, was zu Liquiditätsengpässen am Markt führt. Kech sieht jedoch SWIFT – als neutrales Multipartner-Netzwerk – und FMIs – als neutrale Multipartner-Marktinfrastrukturen – in der Position, einen Beitrag zur Konnektivität zwischen den verschiedenen Tokenisierungs-Inseln zu leisten.

Er ist der Ansicht, dass die Liquidität im Tokenisierungsmarkt erst an Dynamik gewinnt, wenn Interoperabilität gewährleistet ist.