Herr Riesen, Herr Tschirky: Welche Bedeutung hatte die Zulassung als Börsenagent für Rahn+Bodmer Co. damals im Jahr 1923?

Paul Tschirky (PT): Rahn+Bodmer Co. wurde damit Teil der Börsengemeinschaft, einem vor 100 Jahren doch eher exklusiven Kreis. Mitglied der Börse zu sein, kam mit einem gewissen Status einher. Und es brachte natürlich auch ganz handfeste Vorteile: Mitglieder der Börse brauchen keine Vermittler, die für ihre Kundinnen und Kunden Wertschriften handeln.

Markus Riesen (MR): Nebst dem Status und der Kredibilität war sicherlich der direkte Zugang zum Markt, dort wo sich Angebot und Nachfrage treffen und transparent ein aktueller Wert für ein Wertpapier ermittelt wird, wichtig. Damals wurden alle Wertschriften am Ring durch Zurufen gehandelt – das war eine ganz eigene, fast schon verschworene Gemeinschaft. 

Ralf Rühling

Wichtig ist der direkte Zugang zum Markt, wo sich Angebot und Nachfrage treffen und transparent ein aktueller Wert für ein Wertpapier ermittelt wird.

Markus Riesen, Leiter Handel bei Rahn+Bodmer Co.

Mitglied der Börse zu sein, war damals also ein Verkaufsargument einer Bank gegenüber Kundinnen und Kunden?

MR: Nicht nur damals, auch heute kann es ein wichtiges Argument sein. Dabei geht es für uns nicht so sehr um die Geschwindigkeit der Abwicklung von Aufträgen, sondern vor allem um Diskretion. Ginge man über eine andere Bank, so müsste man zum Beispiel erklären, welche Strategie man aus welchen Gründen fahren möchte. Als direktes Börsenmitglied bleiben die Bedürfnisse und Wünsche der Kundinnen und Kunden bei uns. Das ist auch heute noch so, man will möglichst nicht zeigen, welche Absichten man hat und dadurch vermeiden, dass man den Kurs eventuell zuungunsten der eigenen Kundinnen und Kunden beeinflusst.

PT: Manche Kundinnen und Kunden wählen ihre Bank danach aus, ob diese direkt an der Börse zugelassen ist oder nicht. Mitglied der Börse zu sein, geht damals wie heute mit einem beträchtlichen Renommée einher.

Welches waren 1923 die Voraussetzungen, dass man in den exklusiven Kreis der Börsenhändler aufgenommen wurde?

PT: Es war auf jeden Fall eine grosse Auszeichnung und für das Renommée einer Bank ausschlaggebend. Auch war die Bewilligung durch die Aufsichtsbehörde, damals wohl die Direktion der Volkswirtschaft, vonnöten. Der Ring hatte ja nur eine gewisse Anzahl Plätze, die darum sehr begehrt waren. 

MR: Es gab damals sehr viele Banken in Zürich. Die Schweiz als Finanzplatz bekam eine immer grössere Bedeutung. Und dabei spielte natürlich das Vorhandensein einer Börse eine grosse Rolle. Es war schon eine besondere Auszeichnung, Mitglied dieses exklusiven Kreises zu sein.

Wie muss man sich den frühen Handel am Ring vorstellen?

MR: Es gab verschiedene Handelsringe, etwa für Industrieaktien, Finanzaktien oder Auslandaktien sowie diverse weitere Handelsringe. An jedem dieser Ringe war ein Händler von Rahn+Bodmer Co. präsent. Das waren gelebte Emotionen, wie Wut, Ärger oder Freude und Zufriedenheit. Der Lärmpegel, das Kribbeln auf der Haut, bevor die Börse eröffnete, war etwas besonderes. Man betrat den Ring und roch sozusagen bereits, wohin der Trend gehen wird. Ausserdem gab es eine Zuschauertribüne, das gab den Händlern zusätzlich einen gewissen Status: sie waren die Stars in der Manege.

PT: Die Atmosphäre am Ring war sicherlich speziell. Die ganzen Emotionen, die Spannungen in der Luft, was ja in einem gewissen Sinne auch Informationen transportiert, konnte man nur als Mitglied der Börse erleben. Aber es war auch ein sehr anspruchsvoller Job. Die Informationen mussten sofort erfasst, verstanden und im richtigen Moment umgesetzt werden. Die Händler am Ring mussten hellwach und jederzeit bereit sein.

MR: Das galt natürlich auch für die Händlerinnen: Zwar war der A-la-criée-Handel über Jahrzehnte eine Männerdomäne, doch in den letzten Jahren im Präsenzhandel, vor dem Wechsel zur elektronischen Börse, gab es auch einige Händlerinnen, die Kauf- oder Verkaufsaufträge ihrer Kunden aushandelten.

Bis wann wurde der Handel am Ring abgewickelt?

PT: In Zürich bis 1995, während es in Basel und Genf weiterhin einen Wertschriftenhandel am Ring gab. Doch 1996 gehörte diese Art des Börsenhandels, à la criée, in allen Schweizer Städten definitiv der Vergangenheit an. Die Schweizer Börse war damals weltweit die erste, welche die gesamte Wertschöpfungskette – also den Handel sowie die Abwicklung und Verwahrung von Wertpapieren – auf ein vollelektronisches System umstellte. Bis heute setzen wir auf führende Handelstechnologie, um unseren Auftrag als Börse stets zuverlässig zu erfüllen.

Ralf Rühling

Wir setzen auf führende Handelstechnologie, um unseren Auftrag als Börse stets zuverlässig zu erfüllen.

Paul Tschirky, Senior Relationship Manager, SIX Swiss Exchange

Hat SIX Swiss Exchange eine Monopolstellung im Handel mit Schweizer Titeln?

PT: Keineswegs, es gibt verschiedene Möglichkeiten, Aktienaufträge auszuführen. Aber mit aktuell rund 67% Marktanteil gegenüber alternativen Handelsplattformen stehen wir im internationalen Vergleich sehr gut da. Die Preisbildung und Kapitalaufnahme zu ermöglichen, sind ein wichtiger Bestandteil unseres Mandats gegenüber dem Finanzmarkt und der gesamten Schweizer Volkswirtschaft. Darum nehmen wir unsere Verantwortung als Referenzbörse sehr ernst.  

MR: Ausschlaggebend für uns ist, dass SIX Swiss Exchange auch die Morgen- und Abendauktionen durchführt. Diese sind für uns und unsere Kundinnen und Kunden in Bezug auf die Preisbildung ganz wichtige Instrumente. Bei diesen Auktionen hat die Schweizer Börse ja noch eine gewisse Vormachstellung.

Die Digitalisierung hat den Börsenhandel in den letzten Jahrzehnten enorm verändert. In welche Richtung geht die Reise weiter?

PT: Schon heute wird der Handel überwiegend über sogenannte Algo-Trading-Programme abgewickelt. Algorithmen sind vorgegebene Anweisungen, die einen Auftrag regelbasiert entsprechend ausführen. Die geläufigsten Algorithmen sind Volume Weighted Average Price, kurz VWAP, und Time Weighted Average Price, kurz TWAP. Aber es gibt unzählig viele, die konstant weiterentwickelt und verbessert werden. Darum ist die Geschwindigkeit der Datenverarbeitung für die Bewältigung der Volumen das grosse Thema. In Spitzenzeiten verarbeiten wir bereits heute rund 10'000 Trades pro Sekunde. Und da sind wir noch lange nicht am Ende. 

MR: Heute redet die ganze Welt von künstlicher Intelligenz. Wir beobachten, dass sich die Orderbücher viel schneller verändern. Unterschiedliche Algorithmen werden schon seit einigen Jahren im Wertschriftenhandel eingesetzt. Dabei werden sie «immer Intelligenter» und wohl die Fähigkeit erlangen, sich laufend selbst weiterzuentwickeln. Wir nutzen unsere Systeme zur Unterstützung, doch bleibt die Entscheidungsgewalt weitgehen bei unseren Händlern.

Was unternimmt SIX Swiss Exchange, um für ihre Stakeholder weiterhin attraktiv zu bleiben?

PT: Wir investieren sehr viel in unsere Systeme und Funktionalitäten, damit diese stabil funktionieren und auch in Stresssituationen nicht ausfallen. Den bis zu 10'000 Trades, die in einer Sekunde ausgeführt werden, stehen Auftragsbücher gegenüber, die noch ca. 40 bis 50 Mal höhere Zahlen ausweisen. So kann man sich vorstellen, wie wichtig es für eine Börse ist, sowohl schnelle als auch stabile System zu bieten. Hochleistungstechnologie ist unser Leben.

MR: Kontinuität ist ebenfalls etwas sehr Wichtiges. Das wird immer wieder unterschätzt. Vor allem für unsere Kundinnen und Kunden ist Kontinuität von enormer Bedeutung.

PT: Wir fühlen uns sehr in der Pflicht, unsere Dienstleistungen konstant den Bedürfnissen unserer Mitglieder anzupassen. Wir setzen alles daran, dass wir unsere Marktanteile halten und auch ausbauen können. Dazu sind wir im ständigen Dialog mit unseren Mitgliedern.

MR: Das stimmt. Das ist für uns als eher kleine Bank wichtig, wir möchten ernst genommen werden. SIX Swiss Exchange ist innovativ und muss das auch bleiben. So bleibt es für die Markteilnehmenden attraktiv, ihre Titel an der Schweizer Börse zu handeln. 

Ralf Rühling

SIX Swiss Exchange ist innovativ und muss das auch bleiben.

Markus Riesen, Leiter Handel bei Rahn+Bodmer Co.

Was wünschen Sie, Herr Tschirky, Rahn+Bodmer Co. für die nächsten Jahre?

PT: Wir wünschen uns, dass diese aussergewöhnliche Privatbank weiterhin ein aktives Mitglied der Schweizer Börse bleibt. Und dass sich Rahn+Bodmer Co. weiterhin so erfolgreich im Private Banking behaupten und ihre Eigenständigkeit bewahren kann. Das sind keine Selbstverständlichkeiten.

 

So ging es im Handel an der Schweizer Börse im Jahr 1930 zu und her