Christian Reuss, SIX Swiss Exchange hat ihren Titel als ‘Exchange of the Year’ bei den FN Trading & Tech Awards erfolgreich verteidigt. Was hat Ihrer Meinung nach erneut den Unterschied zu Gunsten der Schweizer Börse gemacht?

Zunächst möchte ich allen danken, die dazu beigetragen haben, dass wir die Auszeichnung ‘Börse des Jahres’ erneut gewinnen konnten. Es ist eine echte Teamleistung, zu der nicht nur wir von der Schweizer Börse und von SIX beitragen. Sie umfasst auch unsere Kunden und Stakeholder. Wir pflegen einen sehr engen Dialog mit ihnen um sicherzustellen, dass alle unsere Dienstleistungen und Verbesserungen – sowohl die inkrementellen als auch die innovativen – auf die Bedürfnisse des Marktes ausgerichtet sind. Wir können jedoch nur vermuten, dass die Juroren erneut für uns gestimmt haben, weil sie die obigen Aussagen teilen.

Den Award ‘Börse des Jahres’ zu gewinnen ist eine echte Teamleistung.

Welche konkreten Beispiele haben Sie für solche Dienstleistungen und Verbesserungen?

Im Listing-Bereich war der grösste Meilenstein sicherlich die Einführung von Sparks, einem neuen Aktiensegment für KMU, die das Rückgrat vieler Volkswirtschaften bilden – auch in der Schweiz. Dieses spezielle Segment unterstützt ihr Wachstum und ihre Sichtbarkeit; es ist aber nicht nur für Unternehmen attraktiv, sondern auch für Investoren, die nach neuen Gelegenheiten suchen. Im Gegensatz zu anderen Wachstumsmärkten in anderen Jurisdiktionen in Europa ist Sparks ein voll reguliertes Börsensegment, das Transparenz und Anlegerschutz gewährleistet.

Parallel dazu haben wir im Trading-Bereich Dienstleistungen lanciert, die unseren Teilnehmern einzigartige Vorteile bieten, wie Swiss EBBO und SwissAtMid Block Orders. Mit Swiss EBBO können Handelsteilnehmer auf drei Orderbücher zugreifen, um ihr Ausführungsergebnis zu verbessern, und mit den indikativen Blockaufträgen kann mit zusätzlicher Liquidität interagiert werden – wirklich einzigartige Angebote in Europa.

Wir haben gerade die Jahresmitte überschritten. Wie beurteilen Sie die erste Hälfte des Jahres 2022?

Die vergangenen sechs Monate waren geprägt von geopolitischer Unsicherheit, Inflation, die auf die Zinsen drückte, und der Unterbrechung der globalen Lieferketten. Infolgedessen haben die Märkte deutlich nachgegeben. Die Handelsvolumina stiegen zumindest in Q122 an, da die Börsen den Anlegern die Möglichkeit geben, auf volatile und unsichere Märkte zu reagieren, insbesondere in kritischen Zeiten. Dies spiegelte sich auch in unserem hohen Marktanteil bei Schweizer Aktien wider. Der Wettbewerb zwischen Primärbörsen und alternativen Handelsplätzen scheint also dann am stärksten zu sein, wenn die Märkte ruhig sind. Aber gerade in Krisenzeiten zeigen die Referenzmärkte ihre Bedeutung für die Preisbildung.

Angesichts des volatilen Umfelds ist es fast überraschend, wie viele Neuzugänge wir an der Börsen begrüssen durften: Vier neue Unternehmen wurden kotiert, fünf neue Produktemittenten stiessen hinzu, und unser Bestand an Anlageprodukten erreichte neue Meilensteine: über 1’600 ETFs, über 600 Sponsored Funds und über 50’000 strukturierte Produkte.

Handelsseitig begrüssten wir drei neue Teilnehmer und erweiterten Europas grösstes Mikrowellennetz mit einer Route nach nach Bergamo, dem neuen Standort des Rechenzentrums von Euronext. Abgerundet wird das positive Bild durch die branchenweite Anerkennung, die sich unsere Research-Publikationen, die mittlerweile berühmten «Trading InfoSnacks», erarbeitet haben, sowie durch unsere Beiträge zu verschiedenen Whitepapers, z.B. über Voluntary Carbon Markets oder die Zukunft der KMU-Finanzierung.

Und was erwarten Sie für die zweite Hälfte des Jahres 2022?

Während wir im ersten Quartal eine verstärkte Marktaktivität beobachten konnten, gehe ich davon aus, dass die weiterreichenden Auswirkungen der zuvor genannten Veränderungen und Herausforderungen ihren Tribut fordern werden. Die Bewertungen sind gesunken, die Volatilität hat zugenommen – beide Faktoren dürften vor allem die Primärmärkte bzw. die Listing-Aktivitäten weiter unter Druck setzen. Darüber hinaus führte das schwierige Marktumfeld zu geringeren Handelsvolumina, während wir uns auf die Ferienzeit zubewegen. Es ist schwer abzusehen, wie es nach dem Sommer weitergehen wird. Wir erwarten also ein eher schwieriges Marktumfeld.

Eine zuverlässig funktionierende Börse ist von entscheidender Bedeutung für die Finanzmärkte, die Wirtschaft und für die Gesellschaft als Ganzes.

Aber gerade in solchen Zeiten ist eine zuverlässig funktionierende Börse von entscheidender Bedeutung für die Finanzmärkte, die Wirtschaft und sogar für die Gesellschaft als Ganzes, da sie die Kapitalbeschaffung auf dem Primärmarkt und die Preisfindung auf dem Sekundärmarkt ermöglicht. Wir können die Unsicherheit nicht beseitigen, aber indem wir eine geordnete Preisbildung ermöglichen, können Marktteilnehmer und Anleger auf Preisbewegungen reagieren und Entwicklungen an den Märkten besser managen.

Christian Reuss, vielen Dank für dieses Interview.