Kapitalmärkte: Börse vs. Crowdfunding & Co.

Kapitalmärkte: Börse vs. Crowdfunding & Co.

Valeria Ceccarelli, Head Primary Markets bei SIX, und Lukas Weber, Co-CEO und Mitgründer von investiere.ch, diskutieren über die Zukunft von Kapitalmärkten, den Nutzen von Communities und die Grenzen der Crowd.

Wir führen dieses Gespräch im Schweizer Finanzmuseum in Zürich. Ist die Börse aufgrund neuer Wege, Kapital aufnehmen zu können, wie zum Beispiel Equity Crowdfunding, bald nur noch ein historisches Ausstellungsstück?

Valeria Ceccarelli Börsen sind nicht reif für das Museum. Sie erfüllen eine zentrale Funktion für die Wirtschaft, indem sie Kapitalsuchende mit Kapitalgebern zusammenbringen. Aber sie sind nicht nur Kapitalmärkte, wo Unternehmen Geld von aussen erhalten. Ihre Einzigartigkeit zeigt sich in der Tatsache, dass sie auch effiziente Handelsplätze sind, wo Wertschriften jederzeit gekauft und verkauft werden können. Jede Börse hat Regeln und Bestimmungen basierend auf Fairness und Transparenz, die sowohl die Investoren wie auch die kotierten Unternehmen schützen. Darüber hinaus beliefern Börsen die Finanzwelt mit qualitativ hochstehenden Finanzinformationen.

Lukas Weber Zunächst einmal meiden wir von investiere.ch den Begriff Crowdfunding. Er suggeriert, dass jedermann mit ganz wenig Geld in ein Unternehmen investieren kann. Das ist bei uns nicht der Fall. Wir wollen Qualität. Nicht nur bei den Unternehmen, die wir den Investoren vorstellen, sondern auch bei den Investoren selbst. Letztere sehen wir nicht nur als Geldgeber, sondern auch als Know-how-Pool. Wir reden von unternehmerischen Investitionen ab einem Betrag von CHF 10’000. Unsere Community umfasst mittlerweile etwa 12’000 Personen, meist nicht nur reine Investoren, sondern gut vernetzte Entrepreneure, amtierende oder ehemalige CEOs usw. Die Expertise unserer Community ist ein ganz wichtiger Wert, den wir als Investor einbringen. Wir stehen ja vor allem in Konkurrenz zu traditionellen Risikokapitalgebern und nicht zur Börse. Diese gehört aus meiner Sicht nicht in die Vitrine.

Ceccarelli Wir pflegen auch eine Community. Nach dem Börsengang schaffen wir Networking-Möglichkeiten. Mit Experten führen wir Schulungen und Trainings durch, zum Beispiel Best-Practice-Workshops für Investor- Relations-Spezialisten oder wir bieten Referate zu verschiedenen Themen an.

Machen wir einen Schritt zurück. Wo nehmen Unternehmen in Zukunft Kapital auf?

Ceccarelli Wie bereits in meiner ersten Antwort erwähnt glaube ich, dass die Börse einer der wichtigsten Orte bleiben wird, wo Unternehmen Kapital aufnehmen. Auch wenn es andere Formen dafür gibt und noch geben wird.

Gehen nicht immer weniger Unternehmen an die Börse?

Ceccarelli Mit sechs Börsengängen hat die Schweizer Börse 2017 den Jahresdurchschnitt der vorangegangenen Jahre übertroffen. Betrachten wir eine längere Zeitperiode, war in den Industrienationen weltweit die Zahl der Börsengänge aber rückläufig. Das liegt daran, dass mehr ausserbörsliches Eigenkapital, Private Equity, vorhanden ist als noch vor 20 Jahren. Die dazugehörige Branche und ihre Formen alternativer Kapitalquellen gibt Unternehmen an bestimmten Stationen ihres Lebenszyklus heute eine grössere Flexibilität, wie sie ihr Wachstum oder Innovation finanzieren können.

Weber Ich pflichte Ihnen bei. Es ist mehr Geld ausserhalb der Börse da. Seitens Private Equity ist aber nur ein kleiner elitärer Zirkel von Investmentfonds fähig, Unternehmen sehr grosse Mengen an Kapital zur Verfügung zu stellen. In diesem sehr interessanten Markt möchten wir einem grösseren Kreis von Investoren Zugriff auf Unternehmen verschaffen, bevor sie an die Börse gehen.

Die Börse wird einer der wichtigsten Orte bleiben, wo Unternehmen Kapital aufnehmen.

Valeria Ceccarelli

Ceccarelli Vergessen wir aber nicht, dass Private- Equity-Fonds eine wichtige Rolle bei den Börsengängen selbst spielen. Sie stellen für diese eine Exit-Option dar. Von 2014 bis 2016 stammte die Hälfte des Volumens aller europäischen Börsengänge von Unternehmen, an denen Private Equity beteiligt war; bezogen auf Swiss Exchange von SIX zum Beispiel bei den Börsengängen von VAT 2016 und Sunrise 2015.

Weber Für kleinere Unternehmen, und vor allem Unternehmen, die sich in der Start-up- oder der Entwicklungsphase befinden und noch gar nicht reif sind für die Börse, braucht es hingegen Alternativen. Wir von investiere.ch zum Beispiel ermöglichen über unsere Plattform ausgewählten Unternehmen, die nicht kotiert sind, einen effizienten Zugriff auf Kapital und ein Investorennetzwerk.

Bestimmt also vor allem die Menge an benötigtem Kapital die Wahl der Mittel?

Ceccarelli Ja und nein. Weil die Aufnahme von Kapital nur einer der Gründe ist, wieso Unternehmen an die Börse gehen. Ein Börsengang ist viel mehr als eine einmalige Möglichkeit, um Kapital aufzunehmen. Ein bereits kotiertes Unternehmen kann auf einfache Art zusätzliches Kapital aufnehmen. Aktien stellen für ein kotiertes Unternehmen eine liquide Währung dar. Sie können dem anorganischen Wachstum dienen oder als Anreiz für führende Talente – in Form von Beteiligungen für Mitarbeitende. Ein anderer Grund ist die Publizität. Börsengänge können eine Marke stärken und lassen ein Unternehmen bei Kunden sowie Lieferanten offener und glaubwürdiger wirken. Das kann helfen, sich gegenüber Konkurrenten abzuheben oder neue Märkte zu erschliessen.

Weber Augenscheinlich können wir, was die Publizität betrifft, nicht mit einer Börse mithalten. Dennoch prägen wir die Ausstrahlung von Start-ups mit, wenn wir diese in unser Portfolio aufnehmen. Auf der Suche nach Risikokapital gibt es wichtige Vertrauensfaktoren: Wer hat schon investiert? Wer investiert in einer laufenden Runde mit? Mit jedem neuen Investor steigt die Glaubwürdigkeit der Anlage. Nach sieben Jahren haben wir uns mit investiere.ch einen guten Ruf erarbeitet. Wir haben strenge Regeln, die darüber entscheiden, mit wem wir einen gemeinsamen Weg gehen wollen. Wir schauen uns pro Jahr mehr als 1000 Unternehmen an. Tatsächlich präsentieren wir der Community aber nur 15 bis 20 davon. Ein Engagement von uns wirkt vertrauensbildend und kann andere Investoren anziehen.

Ceccarelli Wir fühlen uns auch kleinen und mittelgrossen Unternehmen verpflichtet und verhelfen diesen mit speziellen Programmen wie Stage zu mehr Ausstrahlung und damit zu potenziell mehr Liquidität im Markt.

Womit wir bei der Liquidität wären.

Weber Risikokapital ist sehr illiquide. Unsere Investoren wollen ein Unternehmen über eine längere Phase begleiten. Im Gegensatz zu klassischen Investmentfonds, die in ihren Zyklen gefangen sind, bleiben wir dabei flexibel. Es geht nicht darum, die erstandenen Aktien gleich wieder zu verkaufen. Aus Sicht der Unternehmen würde die Möglichkeit zu handeln sogar zu grosser Unsicherheit führen. Wie sollen weitere Geldgeber an Bord kommen, wenn einzelne Aktionäre ihre Anteile – womöglich zu stark reduzierten Preisen – schon wieder veräussern? Darunter würde auch die erwähnte Reputation unserer Community leiden.

Ceccarelli Die Börse ermöglicht natürlich seit jeher den Kauf und Verkauf von Wertpapieren auch nach der ursprünglichen Kapitalaufnahme. Und zwar für jede und jeden – egal mit welchem Budget. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sie bei der Demokratisierung des Aktienbesitzes weiterhin das Mass aller Dinge ist.

Ein Engagement von uns wirkt vertrauensbildend und kann andere Investoren anziehen.

Lukas Weber

Weber In der Tat. Wir bei investiere.ch streben keine totale Demokratisierung an, überlegen aber zum Beispiel, ob wir den Mindestinvestitionsbeitrag von heute CHF 10’000 halbieren. Das aber vor allem auch, um unseren Investoren zu erlauben, noch besser zu diversifizieren. Unter dem Strich sprechen wir andere Investoren an als die Börse.

Ceccarelli Genauso wie Sie nach einer anderen Art von Unternehmen in einer anderen Phase ihres Lebenszyklus suchen. Damit sind Swiss Exchange und investiere. ch zu unterschiedlichen Zeitpunkten interessant für Unternehmen. Ich freue mich schon auf den Moment, wenn das erste Unternehmen an die Schweizer Börse geht, das einst über Ihre Plattform Kapital aufgenommen hat.

Stage Program

Einer der wichtigsten Gründe für eine Kotierung an einer Börse ist die Aufnahme von Kapital. Um auch nach einem Börsengang wachsen zu können, benötigen die Aktien kotierter Unternehmen jedoch ein Mindestmass an Liquidität. Aktien von kleinen oder mittelgrossen Unternehmen sind oft aus verschiedenen Gründen weniger liquide, zum Beispiel aufgrund mangelnder Visibilität im Markt.

Mit dem Stage-Programm unterstützt SIX Unternehmen dabei, diese Visibilität zu steigern und damit eine angemessene Bewertung zu erreichen. Dazu gehören regelmässig aktualisierte Factsheets von Morningstar und Research Reports von Banken. Beides steigert den Informationsfluss zu potenziellen Investoren. Zum Programm gehören auch Workshops und Networking- Anlässe.

Stage läuft seit gut einem Jahr. Sieben kotierte Unternehmen machen bisher mit. Andrea von Bartenwerffer, Head Issuer Relations von SIX, kommentiert: «Die Zahlen entsprechen unseren Erwartungen. Noch viel wichtiger ist aber, dass die Massnahmen vereinzelt schon deutliche Wirkung zeigen.»

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