True Transformers: Zur Zukunft der Finanzindustrie – Gestalter des 21. Jahrhunderts

True Transformers: Zur Zukunft der Finanzindustrie – Gestalter des 21. Jahrhunderts

Das Fundament der Finanzindustrie von morgen ist daten- und algorithmenbasiert. Dennoch ist die Digitalisierung kein Selbstzweck. Die Grundlage für langfristige Innovation ist das Verknüpfen des wirtschaftlichen mit dem gesellschaftlichen Fortschritt. Die Voraussetzung dafür ist ein differenziertes Verständnis der Chancen und Grenzen digitaler Lösungen sowie übergreifende Partnerschaften, die Finanzdienstleister als «Enabler» für Innovation im 21. Jahrhundert positionieren.

Die Diagnose ist klar. Nach der Corona-Krise ist die Welt unwiderruflich im digitalen Zeitalter angekommen. Auch mit Blick auf die Finanzindustrie ist den letzten Zweiflern klar geworden, dass Daten, Algorithmen und virtuelle Kommunikation das unabdingbare Fundament für die Geschäftsmodelle und Kundeninteraktionen im 21. Jahrhundert legen. Die Pandemie hat mit den unterschiedlichen Zwangsmassnahmen allerdings primär einen Digitalisierungsschub gebracht, der bestehende Lösungen für einen dezentralen Austausch, für automatisierte Anlage-Empfehlungen oder für kontaktloses Bezahlen in den Massenmarkt katapultiert hat. Ein Prozess, der unter normalen Umständen in Bezug auf die kulturellen Grundlagen des Arbeitens, Beratens oder Handelns voraussichtlich mehrere Jahre gebraucht hätte, wurde innert weniger Monate zur harten Realität.

Damit war und ist die Krise auch ein Stresstest für das Gesundheitssystem, die Wirtschaft, die Gesellschaft – und für die Finanzindustrie, der künftige Potenziale, aber auch Limitationen schonungslos offenlegt. So gesehen spricht vieles dafür, die Krise als ein monumentales globales Pilotprojekt zu verstehen, das vorausschauenden Akteuren die Chance bietet zu lernen.

Das naheliegende Fazit beruht zweifelsohne darauf, dass die Digitalisierung der Finanzindustrie Anfang 2020 nicht kurz vor der vielfach angekündigten Disruption durch Blockchain-Lösungen oder AI-basierten Anwendungen stand, sondern vielmehr am Anfang einer viel längeren und umfassenderen Transformation steht die nicht primär durch Bits, Bytes und Bitcoins geprägt ist. Die Schlussfolgerung für die Finanzindustrie lautet:

(Digitale) Technologie allein ist keine Strategie, sie ist nur Mittel zum Zweck. Als Folge davon wird mehr denn je deutlich, dass langfristige Lösungen bei den künftigen Bedürfnissen der Nutzer ansetzen müssen. Konkret: Nur weil es möglich ist, Fallzahlen täglich oder stündlich zu publizieren, heisst das noch nicht, dass, Bürgerinnen und Bürger damit Risiken besser einschätzen oder langfristige Entscheidungen treffen können. Genauso wenig wie die Möglichkeit Bewegungen an Finanzmärkten für Privatkunden oder Kleinsparer in Echtzeit auf ein Smartphone zu senden, dazu beiträgt, die Rendite oder die Übersicht zu erhöhen. Gerade bei komplexen Fragen ist zudem der direkte Kontakt zwischen Menschen zentral – bei der Klärung von heiklen gesundheitlichen Diagnosen wie auch bei der Planung der langfristigen Finanzstrategie.

Darüber hinaus hat sich gezeigt – und auch diese Erkenntnis ist für Finanzdienstleister relevant –, dass es nicht allein die individuellen Bedürfnisse sind, die zählen, sondern die der Gesellschaft. So sinnvoll der theoretische Nutzen eines Contact Tracings hätte sein können, so wenig hat es in der Praxis gebracht, wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit, ihre Daten zu teilen, nicht gegeben ist. Übertragen in die Finanzwelt ist auch klar: Ohne Vertrauen der breiten Öffentlichkeit werden weder Kryptowährungen von Bitcoin bis zu Libra, noch algorithmenbasierte Anlage-Empfehlungen langfristig erfolgreich sein. Mit Blick auf die neuen Möglichkeiten der Tokenisierung oder der NFTs als künftige Asset-Klasse wird diese Anforderung noch wichtiger – auch wenn man den noch wenig beachteten ökologischen Fussabdruck der exponentiellen Zunahme der notwendigen Rechenzentren.

Aus dieser Perspektive lassen sich für zukunftsgerichtete und resiliente Finanzdienstleister drei Handlungsfelder ableiten:

  1. Aufbau von systematischer Früherkennung: Mit der hohen Dynamik der Veränderung wird es für Unternehmen – aber auch für den Regulator – unabdingbar, sich vorausschauend mit den neuen technischen Möglichkeiten auseinanderzusetzen und die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen auf die betriebswirtschaftlichen, aber vor allem auch auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu übersetzen. Die Folge davon ist eine erhöhte Zukunftsfähigkeit, die nicht durch das dauernde Verfolgen der letzten Trends und Hypes geprägt ist, sondern durch mehr Stabilität und langfristiges Denken.

  2. Ausrichten auf künftige Anforderungen von Nutzern – und der Gesellschaft: Der Kern von Resilienz liegt nicht allein im Wiederherstellen des Status quo, sondern in der Ausrichtung auf die künftigen Anforderungen des Markts. Dies erfordert allerdings auch zu definieren, was dieser Kern in Zukunft ist. Die alleinige Optimierung der finanziellen Belange einzelner Personen oder Organisationen dürfte dabei nicht mehr ausreichend sein. Versicherungen genauso wie Banken haben traditionell eine zentrale Rolle für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt eingenommen, sei es durch das Finanzieren von Grossprojekten wie dem Bau von Schienennetzen oder Fabriken im Rahmen der ersten und zweiten industriellen Revolution, die den Aufbruch in eine neue Zeit markierten. Die Einführung von Sozialversicherungen gilt als frühe «gesellschaftliche Innovation», weil sie eine Produktivitätssteigerung ermöglichte und gleichzeitig Gesundheit oder Altersvorsorge absicherte. Mit Blick auf die vierte industrielle Revolution ist es naheliegend, dass der Übergang in eine datenbasierte, aber auch in eine nachhaltige Wirtschaft vorausschauende Investitionen erfordert. Für Finanzdienstleister als True Transformers erfordert dies das vorausschauende Identifizieren der gesellschaftlichen Anforderungen und das Verknüpfen von marktwirtschaftlichem mit gesellschaftlichem Fortschritt. Das legt nicht nur die Grundlage für Vertrauen, sondern erhöht auch die Attraktivität als Arbeitgeber im internationalen Wettbewerb.

  3. Entwicklung von übergreifenden Netzwerken: Für den Aufbau von Nutzer- oder gesellschaftsorientierten Angeboten braucht es einerseits stabile und effiziente Plattformen mit Schnittstellen für das Einbinden neuer innovativer Lösungen. Dies erfordert zunächst auf nationaler oder internationaler Ebene das Festlegen von verbindlichen Standards, die nur durch die Branche – gemeinsam mit den Regulatoren –definiert werden können. Im Hinblick auf ein gesamtheitliches Verständnis der Leistungen von Finanzdienstleistern, die ihre Angebote nicht allein auf monetäre Aspekte, sondern im Verständnis eines digitalen Wellbeings auf die generellen Anforderungen der Menschen beziehen, eröffnen sich neue Partnerschaften, die wesentlich weiter gehen, als es die traditionellen Bank- oder Versicherungsökosysteme anpeilen. Neben den daraus resultierenden Partnerschaften wächst auch die Notwendigkeit, sich im internationalen Wettbewerb zu positionieren. Als Learning der Corona-Pandemie, aber auch auf die historische Rolle der Finanzbranche, eröffnet sich gerade für die Schweiz eine Positionierung, die gestern wie morgen auf Sicherheit und Stabilität setzt. Diese muss aber die  Verknüpfung von Wirtschaft und Gesellschaft als Fundament anerkennen, und sie mit wirklich innovativen Lösungen und Angeboten im internationalen Wettbewerb positionieren.