Psychische Belastung im Homeoffice? – Eine Bilanz nach zwei Jahren Pandemie

Psychische Belastung im Homeoffice? – Eine Bilanz nach zwei Jahren Pandemie

Homeoffice schafft Flexibilität – kann aber auch zur psychischen Belastung werden. Umso wichtiger, dass Arbeitnehmende bei Bedarf professionelle Unterstützung erhalten. Erfahren Sie in diesem Beitrag, welche Auswirkungen das Homeoffice auf unsere mentale Gesundheit haben kann und welche Aspekte es bei neuen Arbeitsmodellen zu beachten gibt.

703 Tage – diese Anzahl Tage liegt zwischen dem 16. März 2020, als der Bundesrat für die Schweiz die ausserordentliche Lage ausgerufen hatte, und dem 17. Februar 2022, an dem die meisten Massnahmen wieder aufgehoben wurden. Viele Beschäftigte arbeiteten während dieser Zeit mehrheitlich von zu Hause aus. Was des einen Leid, ist des anderen Freud: Mitarbeitende nehmen das Homeoffice, wie wir es in der Schweiz nennen, sehr unterschiedlich wahr. Fest steht jedoch, dass wir alle mit der Situation des «erzwungenen» Homeoffice unterschiedlich umgegangen sind – für einige Menschen ist die Situation sogar zur psychischen Belastung geworden.

Was versteht man unter psychischer Belastung am Arbeitsplatz?

Marcel Baumgartner, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW, versteht man unter dem Begriff «psychische Belastung» alle Faktoren, die von aussen auf uns einwirken und uns Energie kosten. In der Arbeitswelt können das ganz allgemein die Arbeitsverhältnisse sein, spezifische Konflikte, grosser Leistungsdruck oder ein hoher Workload. Die Auswirkungen dieser Belastungsfaktoren – wissenschaftlich «Beanspruchung» genannt – sind sehr individuell, sie können von Mensch zu Mensch variieren.

Wie können Unternehmen ihre Mitarbeitenden bei psychischen Belastungen unterstützen?

Um Mitarbeitende im Umgang mit psychischen Belastungen zu unterstützen, arbeitet SIX bereits seit vielen Jahren mit dem externen Partner «Movis» zusammen. Das Beratungsunternehmen hat sich auf das betriebliche Gesundheitsmanagement spezialisiert. Die Mitarbeitenden von SIX können das Beratungsangebot sowohl für geschäftliche wie auch für private Anliegen nutzen. Laut dem Movis-Berater Beat Vassalli haben sich die Anzahl und die Themen der Beratungsgespräche in den letzten zwei Jahren nicht gross verändert. Allerdings hätten die Auswirkungen der Pandemie über die Zeit eine immer grössere Rolle gespielt: Isolation, fehlende soziale Beziehungen sowie die Vermischung von Arbeit und Privatleben waren Dinge, die im Homeoffice zur Belastung wurden. Auch der Druck und das Tempo hätten im Homeoffice zugenommen und somit auch das Risiko, in eine «Beschleunigungsfalle» zu geraten. «Als Folge davon wurden Stress, Überforderung und Depressionen bei den Beratungen häufiger thematisiert», sagt Beat Vassalli und ergänzt: «Zum Glück konnten wir während der gesamten Zeit Face-to-Face-Beratungen anbieten und durchführen. Gerade in akuten Krisen ist das zentral.»

Was können Unternehmen tun, um psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu entstigmatisieren?

Damit psychische Belastungen im Arbeitsalltag entstigmatisiert werden können, brauche es neben einem niederschwelligen Beratungsangebot für Führungskräfte und Mitarbeitende aber noch weitere Massnahmen seitens der Arbeitgeber, sind sich Marcel Baumgartner und Beat Vassalli einig. Ein offener Umgang mit dem Thema «Mental Health» ist dabei zentral; so kann es zum Beispiel eine positive Signalwirkung haben, wenn Betroffene aus dem Management den Grund für einen Ausfall – sei es ein Burn-out oder eine andere psychische Erkrankung – offen und ehrlich kommunizieren. Generell ist es wichtig, dass neben den aktuellen Business-Themen auch das persönliche Wohlbefinden ein fixer Bestandteil in den regelmässigen bilateralen Gesprächen zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten ist.

Gekommen, um zu bleiben? Die Zukunft des Homeoffice

Marcel Baumgartner hält fest, dass viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – aber auch grössere Unternehmen – vor der Corona-Pandemie der Ansicht waren, Homeoffice funktioniere nicht und führe zu Einbussen bei der Produktivität und der Effizienz. Nach der «erzwungenen» Umstellung hätten die Arbeitgeber aber schnell gemerkt, dass dem nicht so sei, sondern dass es sogar zu Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen kam.

Homeoffice als neuer Goldstandard der Arbeitswelt

Aber was passiert jetzt, wo wir langsam wieder ins Büro und in die Normalität zurückkehren? Ist es auch eine Rückkehr in die «alten» Arbeitsweisen? Wie viele andere Experten und Expertinnen ist sich auch Marcel Baumgartner sicher, dass Homeoffice in Zukunft als fixer Bestandteil der Wissens- und Büroarbeit beibehalten wird. Auch auf Arbeitnehmerseite ist die Möglichkeit von Homeoffice nun ein wichtiges Kriterium für eine Stelle. SIX war bereits vor der Corona-Pandemie digital gut organisiert und Homeoffice war durchaus möglich. Nach den vorwiegend positiven Erfahrungen der letzten zwei Jahre möchte SIX ihren Mitarbeitenden auch in Zukunft vermehrt flexibles Arbeiten anbieten.

Wie lässt sich die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz fördern? 3 Tipps und Tricks

  1. Individuelle Reflexion: Stelle dir regelmässig Fragen wie: «Wo stehe ich bei meiner Arbeit gerade? Welche (psychischen) Bedürfnisse habe ich? Wie gut sind diese Bedürfnisse im Moment abgedeckt? Das schafft Bewusstsein für Verbesserungen.
  2. Reflexion auf Teamebene: Regelmässige «Retros» im Team organisieren, wo Fragen wie «Was machen wir gut und was weniger gut? Was wollen wir verbessern?» diskutiert werden.
  3. Work-Life-Balance durch Kontrasterfahrungen: Wer bei der Arbeit den ganzen Tag am Bildschirm verbringt, kann in seiner Freizeit durch Kontrasterfahrungen wie Bewegung und Ausflüge einen guten Ausgleich schaffen.

Die Erfahrungen der Pandemie als Chance nutzen

«Die Rückkehr ins Büro stellt hinsichtlich mentaler Gesundheit eine wertvolle Chance dar, die Erfahrungen der letzten zwei Jahre – auch gemeinsam im Team – zu reflektieren und Arbeitsweisen weiterzuentwickeln», so Marcel Baumgartner. So könne man die positiven Aspekte des Homeoffice – zum Beispiel die dadurch gewonnene Flexibilität – beibehalten und die negativen Facetten – wie den fehlenden informellen Austausch – mit kreativen Ideen angehen.

Arbeitsmodelle der Zukunft: «echter Gestaltungsspielraum» ist zentral

Besonders wichtig sei, dass Unternehmen ihren Teams bei der Ausgestaltung der Zusammenarbeit genügend Spielraum lassen. Nur so seien die Teams in der Lage, konstant eine hohe Leistung zu erbringen und nachhaltig zum Erfolg des Unternehmens beizutragen, ohne dass dies auf Kosten der mentalen Gesundheit der Mitarbeitenden geschieht. Dieser «echte Gestaltungsspielraum», wie Marcel Baumgartner ihn nennt, schaffe zeitgemässe und arbeitnehmerfreundliche Verhältnisse und wirke sich dementsprechend auch positiv auf die jeweilige Unternehmenskultur aus.