Wie sich die Herausforderungen im Aktienresearch auf KMU auswirken

Wie sich die Herausforderungen im Aktienresearch auf KMU auswirken

Regulatorische, technologische und andere Faktoren haben dazu geführt, dass der Nutzen des Aktienresearchs und sogar seine Qualität gefährdet ist. Lesen Sie in diesem Blogpost, wie sich dies insbesondere auf kleine und mittlere Unternehmen auswirkt, indem ihre Liquidität und ihr Wachstumsspielraum beeinträchtigt werden.

Entwickelte Märkte erfordern Aktienresearch, weil es die Sichtbarkeit und Liquidität börsennotierter Wertpapiere erhöht und fundierte Anlageentscheidungen erleichtert. Die jüngsten regulatorischen und technologischen Entwicklungen haben dessen Umsetzung jedoch erschwert, insbesondere im Hinblick auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Darüber hinaus gibt es nichtfinanzielle Faktoren und Trends, die heute in die Analyse einzubeziehen sind, damit das Aktienresearch seinen Nutzen behält.

Was ist Aktienresearch?

Aktienresearch vermittelt einen Überblick über die finanziellen Kennzahlen eines Unternehmens und zeigt mögliche Risiken für die Anlegerinnen und Anleger auf. Die Resultate des Aktienresearchs stehen in Form von Berichten zur Verfügung, die die Stärken und Schwächen eines Unternehmens einordnen. Alle Marktteilnehmer, die für sich oder andere in Aktien investieren, sind auf diese Berichte angewiesen, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. 

Laut «Die Zukunft von Börsenanalysen» (nur in Spanisch), einem im März 2022 vom spanischen Institut für Finanzanalysten IEAF vorgelegten Bericht, steht das Aktienresearch vor mindestens drei grossen Herausforderungen:

1. Rückgang der durch Aktienresearch abgedeckten Unternehmen nach MiFID II

Die EU-Richtlinie MiFID II enthält die Verpflichtung, Research- und Empfehlungsdienstleistungen für börsennotierte Wertpapiere oder Unternehmen von der Investition in ebendiese Wertpapiere – oder von deren Veräusserung – zu trennen. Diese Entflechtung hat insbesondere bei börsennotierten Wertpapieren von KMU zu einem Mangel an Research-Abdeckung geführt.

Eine Studie der Financial Conduct Authority zeigt einen beträchtlichen Rückgang in den letzten Jahren auf: Im Vereinigten Königreich werden heute 70 % der KMU mit einer Marktkapitalisierung von bis zu 50 Millionen Euro nicht abgedeckt; 20 % haben nur einen Analysten. Die Abdeckung von Unternehmen mit einem Marktwert zwischen 50 Millionen und 100 Millionen Euro ist etwas höher, aber insgesamt befinden sich zwei von fünf Unternehmen ausserhalb des Blickfelds der Experten.

Die EU-Regulierungsbehörden haben diese Konsequenzen wahrgenommen, die negativen Auswirkungen von MiFID II in Erwägung gezogen und einige Änderungen vorgenommen. Das Hauptziel der Richtlinie, nämlich den Schutz der Anlegerinnen und Anleger, haben sie allerdings beibehalten. Nun wird es in Zukunft nicht mehr notwendig sein, die Entflechtung einzuhalten, wenn sich die Analyse auf Emittenten bezieht, deren Marktkapitalisierung 1000 Millionen Euro nicht überschreitet.

Die teilweise Rücknahme der Entflechtung wird sich positiv auf die Zahl der vom Aktienresearch erfassten Unternehmen auswirken und die Situation in Zukunft entschärfen.

2. Aufstieg der passiven Fonds und Robotisierung der Unternehmensauswahl

Seit 2008 hat sich das Volumen passiver Fonds fast verzehnfacht. Es ist weltweit auf rund 10 Billionen Dollar angewachsen. In den Vereinigten Staaten machen sie bereits 53 % aller Investmentfonds und ETFs aus. Die niedrigen Kosten sind ein wichtiger Anreiz für passive Fonds, vor allem in einem Bullenmarkt.

Zu den passiven Anlagen gehören im Wesentlichen Indexfonds, die sich stark systematisiert an einer Benchmark orientieren. Sie umfassen aber auch quantitative Strategien, die Faktoren oder Faktorsysteme, Algorithmen oder technische Indikatoren integrieren, ebenfalls mit einem hohen Systematisierungsgrad. Diese beiden Umstände können zu Finanzprodukten führen, die sich in hohem Mass «robotisieren» lassen.

Dieser Trend ist zweifellos eine Herausforderung für das Aktienresearch und die Analysten, die im Zug dieser Dynamik an Handlungsspielraum verlieren, wenn es im Rahmen des Anlageprozesses einen Mehrwert zu schaffen gilt. Gleichzeitig gelangen Kleinanlegerinnen und ‑anleger schlechter an verlässliche Informationen über Unternehmen und sind daher weniger gut geschützt.

3. ESG-Faktoren, die in das Aktienresearch einzubeziehen sind

Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft einerseits, die Qualität der Unternehmensführung andererseits, kurz ESG-Faktoren, beeinflussen heute die Volatilität und damit die Kapitalkosten sowie andere Parameter, die wiederum in die Unternehmensbewertung einfliessen. Bisher hing der fundamentale Wert eines Unternehmens dagegen ausschliesslich von Cashflow, Wachstum und den Finanzierungskosten ab.

ESG-Faktoren sind nichtfinanzielle Aspekte, die es zwar schon immer gab, heute aber – anders als noch vor zehn Jahren – die Marktbewertung börsenkotierter Unternehmen merklich beeinflussen. Die Relevanz der ESG-Faktoren und die Notwendigkeit, sie zu messen, gehen nicht zuletzt auf die ausdrückliche Nachfrage der Anlegerinnen und Anleger nach Unternehmen mit einer hohen ESG-Bewertung zurück, das heisst nach Unternehmen, die gemäss definierten Standards nachhaltig agieren.

In Bezug auf die Fundamentalanalyse von Unternehmen stellt sich die Frage, wie diese ESG-Faktoren zu integrieren sind – eine intellektuelle Herausforderung. ESG-Zertifizierungen können bei der Beantwortung dieser Frage von entscheidender Bedeutung sein. Allerdings sind nicht bloss Messgrössen zu definieren, es gilt auch, die Qualität und Unabhängigkeit der Messungen zu gewährleisten und zu entscheiden, welche Akteure wozu genau qualifiziert sind.