Trotz Gegenwind: 5 Gründe, warum ESG bleibt

Trotz Gegenwind: 5 Gründe, warum ESG bleibt

ESG-Themen stehen dieses Jahr unter Druck. Gleichzeitig zeigt sich in der Praxis: Ihre Bedeutung wächst weiter. Lesen Sie, warum ESG nicht verschwindet – sondern vielmehr an Relevanz gewinnt.

Von Texas bis Davos, von Exxon bis Novartis, von LinkedIn bis TikTok: ESG steht unter Beschuss. In den USA wird der Nachhaltigkeitsbegriff von konservativen Politikern als «woke capitalism» verspottet, namhafte Unternehmen streichen ESG aus ihren offiziellen Kommunikationsrichtlinien, und selbst ehemals prominente Fürsprecher wie Larry Fink von BlackRock – der 2020 noch eine «fundamentale Umgestaltung der Finanzwelt» verkündet hatte – verzichten inzwischen öffentlich auf die drei Buchstaben.

Wofür steht ESG?

ESG steht für Environmental, Social und Governance – also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Die Idee dahinter: Investitionen sollen nicht nur nach Risiko und Rendite bewertet werden, sondern auch danach, ob sie nachhaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen stiften.

Wer nun glaubt, das Ende von ESG sei gekommen, unterschätzt die Realität auf den Finanzmärkten. ESG mag hie und da in der Defensive sein, doch die zugrunde liegenden Prinzipien setzen sich weiter durch. Und gerade institutionelle Anleger tun gut daran, sich von der rhetorischen Aufregung nicht beirren zu lassen. Denn: ESG ist mehr als ein Etikett. ESG ist und wird immer mehr ein ökonomischer Imperativ.

Hier sind fünf Gründe, warum ESG die aktuelle Kritik überleben wird:

1. Kapitalflüsse sagen mehr als Schlagzeilen

ESG hat ein Reputationsproblem – aber kein Kapitalproblem. Laut der «ESG Global Study 2024» der Capital Group – einer der grössten Asset Manager der Welt – haben 90 % der weltweit befragten Anlegerinnen und Anleger ESG auch 2024 bei ihren Investitionen berücksichtigt, in Europa sogar 94 % – ein Allzeithoch. Die Hauptgründe: regulatorische Anforderungen (68 %) sowie die Überzeugung, dass ESG hilft, finanzielle Risiken besser zu managen und neue Investitionschancen zu identifizieren.

Einige ESG-Fonds stagnieren derzeit zwar oder verzeichnen teils sogar Abflüsse. Laut Bloomberg liegt das weltweite ESG-Anlagevermögen derzeit allerdings bei über 30 Billionen US-Dollar – das entspricht rund einem Viertel des global verwalteten Kapitals. Bis 2030 könnte das ESG-Volumen auf über 40 Billionen US-Dollar anwachsen. Die Treiber? Pensionskassen, Staatsfonds und Vermögensverwalter, die langfristig denken (müssen) – und genau deshalb auf ESG-Faktoren achten. 

2. ESG wirkt – auch ohne das Label

Die Debatte hat zu einem bemerkenswerten Phänomen geführt: Viele Unternehmen verzichten auf den Begriff ESG, nicht aber auf die dahinterliegenden Prinzipien. McDonald’s, State Street, Vanguard und selbst BlackRock sprechen heute lieber von «Nachhaltigkeit», «Transition Investing», «Net Zero Strategies» oder «Impact Strategy». Damit entziehen sie sich der politischen Polarisierung – und richten ihre Kommunikation strategisch neu aus.

ESG-Strategien werden angepasst, umetikettiert oder – wie im Fall von Vanguard, das sich aus der Net Zero Asset Managers Initiative zurückgezogen hat – auch zurückgefahren. Doch zentrale Mechanismen wie Risikominimierung, regulatorische Konformität und Reputationsmanagement bleiben im Fokus.

Obwohl der Begriff ESG an Strahlkraft verloren hat, bleiben Unternehmen dem Prinzip dahinter treu. «Die verwalteten Vermögen, die sich an den Schweizer ESG-Indizes orientieren, sind auch 2025 gewachsen», weiss Christian Bahr, Head Index Services & ESG bei SIX. «Darüber hinaus haben sich die dahinterliegenden ESG-Datenpunkte und Metriken im Markt breit etabliert. Sie werden nicht nur von Indexnutzern berücksichtigt.»

3. ESG ist nicht Kür, sondern Pflicht

In Europa ist ESG längst nicht mehr freiwillig. Durch SFDR, die EU-Taxonomie und CSRD (siehe Box) sind Transparenz, Kennzahlen und Offenlegungspflichten gesetzlich vorgeschrieben. Wer Kapital verwaltet, Produkte vertreibt oder Berichtspflichten hat, kommt an ESG nicht vorbei – selbst wenn er oder sie den Begriff als solchen nicht mehr benutzt.

Dass diese Pflicht auch Wirkung zeigt, belegt eine Studie von HCM International: Über 80 % der grossen Unternehmen in Europa berücksichtigen ESG-Kriterien in ihren Vergütungsmodellen – Tendenz steigend.

Daran wird auch der EU-Omnibus-Vorschlag der Europäischen Kommission nichts ändern. Er zielt darauf ab, bestehende ESG-Berichtspflichten zu vereinfachen und zu reduzieren, insbesondere für KMU.

Umgekehrt halten gerade Verbände weiter an selbstauferlegten Pflichten fest. Wo verbindliche Regeln fehlen oder diese einen Mindeststandard unterschreiten, ist Selbstregulierung ein probates Mittel. Beispiele dafür finden sich etwa beim Schweizerischen Pensionskassenverband oder der Asset Management Association Switzerland.

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ESG Regulations: European Union vs. Switzerland

1. SFDR – Sustainable Finance Disclosure Regulation

  • seit März 2021 für Finanzmarktteilnehmer in der EU (z.B. Fondsanbieter, Asset Manager, Banken)
  • Pflicht zur Offenlegung, ob und wie Nachhaltigkeitsrisiken und -faktoren in Investitionsentscheidungen einbezogen werden
  • Unterteilung in Artikel-6-, Artikel-8- und Artikel-9-Produkte je nach ESG-Fokus
  • Ziel: Transparenz gegenüber Endinvestorinnen und -investoren

Schweiz: Die SFDR ist in der Schweiz nicht direkt anwendbar. Dennoch orientieren sich viele Schweizer Finanzinstitute freiwillig an den SFDR-Kategorien, insbesondere bei grenzüberschreitendem Geschäft.

 

2. EU-Taxonomie-Verordnung

  • seit 2020 schrittweise in Kraft
  • einheitliche Definition von wirtschaftlichen Aktivitäten, die als «ökologisch nachhaltig» gelten
  • für Unternehmen, die nachhaltige Investitionen tätigen (möchten)
  • Abdeckung von Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Biodiversität u.a.

Schweiz: Die EU-Taxonomie ist in der Schweiz rechtlich bindend. Einige Institute orientieren sich aber bereits daran oder nutzen sie als Referenzrahmen – etwa bei der nachhaltigen Kreditvergabe.

 

 3. CSRD – Corporate Sustainability Reporting Directive

  • ab 2024 für grosse Unternehmen (Wave 1) und ab 2027 für Unternehmen, gemäss EU-Omnibus-Paket (Wave 2)
  • Verpflichtung zur ESG-Berichterstattung nach dem neuen EU-Standard (ESRS)
  • Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen
  • Pflichtteil des Lageberichts (Limited Assurance)

Schweiz: 2022 wurden ESG-Berichtspflichten im Obligationenrecht eingeführt. Sie betreffen Unternehmen von öffentlichem Interesse mit mehr als 500 Mitarbeitenden und bestimmten finanziellen Schwellenwerten. Die Regelung orientiert sich an der EU-Richtlinie 2014/95/EU – der Vorgängerrichtlinie der CSRD – und verlangt die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen zu Umwelt, Sozialem und Governance. Die angepasste Verordnung über die Berichterstattung über Klimabelange soll am 1. Januar 2026 in Kraft treten.

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4. Messbarkeit wird besser – und zwingender

Einer der grössten Kritikpunkte an ESG war lange Zeit die mangelnde Vergleichbarkeit und Verlässlichkeit von Daten. Doch genau hier tut sich viel. Dank verbesserter Datenstandards und -interoperabilität, Ratings und Technologien wird ESG zunehmend quantifizierbar.

Die Herausforderung bleibt komplex – insbesondere beim Buchstaben «S» wie Social –, aber der Weg zu robusten Key Performance Indicators (KPIs) ist geebnet. Kennzahlen wie CO2-Intensität, Gender-Pay-Ratio oder durchschnittliche Schulungsstunden pro Mitarbeitenden (Average Training Hours per Employee) gelten längst nicht mehr als exotisch, sondern gehören in vielen Unternehmen zum Standard-Reporting – inner- und ausserhalb Europas. Das ESG-Reporting ist und bleibt daher Pflicht für viele Unternehmen.

Wie sich die Interoperabilität zwischen den unterschiedlichen Berichterstattungsstandards entwickelt, ist eine Frage für die Politik. Wichtig für Unternehmen ist jedoch, dass der Inhalt bestehen bleibt.

Die EU-Taxonomie und Prinzipien wie die European Sustainability Reporting Standards (siehe Punkt 3) setzen auf Definitionen und Metriken, die nochmals auf ihre Wirkung überprüft und geschärft wurden. Ratingagenturen und Datenanbieter haben ihre ESG-Methodologien überarbeitet, und viele institutionelle Investoren nutzen heute mehrere Datenquellen gleichzeitig, um Inkonsistenzen auszugleichen. Auch die Integration von KI-gestützten Analysetools (etwa zur Auswertung von Textdaten, Satellitenbildern oder Lieferketteninformationen) hilft, ESG-Kennzahlen präziser und dynamischer zu erfassen.

Die Fidelity-Studie «Professional Investor DNA Survey» von 2024 bestätigt: 68 % der Befragten sehen die Messung des Impacts als grösstes Hindernis für die weitere Einführung nachhaltiger Anlagen. Doch gleichzeitig investieren immer mehr in pragmatische Lösungen – etwa durch vereinfachte Wirkungsmodelle, sektorbezogene Benchmarks oder «Best-in-Class»-Vergleiche, die auf klar definierten ESG-Kriterien beruhen.

5. ESG schafft Resilienz – in einer Welt permanenter Unsicherheit

Pandemien, geopolitische Spannungen, Energiekrisen – das makroökonomische Umfeld ist von Volatilität geprägt. Unternehmen, in denen ESG tief verankert ist, sind besser auf solche Einflüsse vorbereitet, weil sie systemische Risiken frühzeitig erkennen, robuste Lieferketten pflegen und proaktiv und schnell sowohl auf regulatorische als auch auf gesellschaftliche Anforderungen reagieren können. Auch ESG-Fonds haben sich in Krisenzeiten oft als widerstandsfähiger erwiesen – mit geringeren temporären Wertverlusten im Vergleich zu klassischen Fonds.

Fazit: ESG ist gekommen, um zu bleiben

ESG ist mehr als ein Schlagwort. Wer auf ESG setzt, folgt keinem politischen Trend, sondern einer wirtschaftlichen Notwendigkeit. Der Backlash ist stark – aber er ändert nichts an der Tatsache, dass ESG-Kriterien für Investorinnen und Investoren, Unternehmen und Regulatoren zu einem integralen Bestandteil der Kapitalmärkte geworden sind. Die Herausforderung besteht nicht darin, ob ESG überlebt, sondern wie man es wirksam und glaubwürdig umsetzt.

Für Unternehmen bedeutet das: weniger Label, mehr Substanz. Für Investierende: Fokus auf robuste Daten, klare Governance und langfristigen Impact. Und für alle Beteiligten: den Mut zu haben, Nachhaltigkeit nicht als PR-Kampagne, sondern als ökonomische Realität zu begreifen.