Seien Sie beim Investieren nicht emotional

Seien Sie beim Investieren nicht emotional

Klar, wer investiert, hat ein Ziel: Rendite. Aber das ist nicht das Einzige, was zählt. Man muss seine Anlagestrategie auch mögen. Investieren ist keine exakte Wissenschaft. Unsere Anlageentscheidungen werden von psychologischen Faktoren bestimmt.

Weiss der Geier, woher dieser Informatikstudent die Eingebung hatte, als er vor zehn Jahren von seinen Eltern ein paar Tausend Franken lieh, um sie in Bitcoin zu investieren – für weniger als einen Dollar pro Stück. Heute ist er Multimillionär, hat sein Vermögen diversifiziert und promoviert bei Thorsten Hens, Professor für Financial Economics am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich. «Das war damals mutig vom jungen Studenten », sagt Thorsten Hens, «denn rein wissenschaftlich betrachtet war es keine wirklich kluge Anlage und sicherlich auch keine ausgewogene.»

Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Das unkluge Verhalten hat sich ausbezahlt und in jedem Fall hat der Informatikstudent den grössten Fehler, den man beim Investieren machen kann, nicht begangen: gar nicht investieren. Der zweitschlimmste Fehler sei, so Thorsten Hens, im falschen Moment auszusteigen. Manch eine oder einer steigt bei Sonnenschein mutig ein und kriegt kalte Füsse, wenn ein Gewitter aufzieht. Thorsten Hens verrät eine Faustregel vorweg: «Steigen Sie nur aus, wenn Sie das Geld brauchen. Auf keinen Fall dürfen Sie aussteigen, wenn der Markt fällt, auch wenn Ihre Emotionen das fordern.»

Und damit sind wir mittendrin in der Psychologie des Investierens. Unsere Anlageentscheidungen werden stark von psychologischen Faktoren, wie zum Beispiel Gier und Furcht, bestimmt. Gier kann aufkommen, wenn ich selbst eine moderate Rendite mache und alle um mich herum mit Bitcoin steinreich geworden sind. Ich gerate dann in Versuchung, das wettzumachen, und erhöhe das Risiko. Furcht kann aufkommen, wenn die Aktienkurse einbrechen und die Medien dies mit Horrorgeschichten untermalen. Das langfristige Ziel gerät aus dem Fokus, ich will verkaufen. Thorsten Hens: «Gewinne werden als normal angesehen, Verluste als Warnsignal. Verluste aktivieren die Anlegerinnen und Anleger. Deshalb gibt es in fallenden Märkten viel mehr Handelsaktivität als in steigenden.»

Frauen sind tendenziell risikoscheuer als Männer

Hinter der Affinität für das Risiko oder der Aversion dagegen stecken psychologische Muster. Menschen, die offen für Neues oder extrovertiert sind, zeigen in der Regel eine höhere Risikobereitschaft. Gewissenhafte oder neurotische Menschen eine niedrigere. Die eigene Lebenserfahrung prägt die Risikobereitschaft mit. Übertragen auf ein «Investierendenleben» bedeutet das, dass das wiederkehrende Auf und Ab der Märkte einen zwar abhärtet, also risikotoleranter macht, ein traumatisches Erlebnis wie ein Totalverlust aber das Gegenteil bewirkt.

Sie brauchen einen Plan, eine Strategie, um nicht zum Spielball dieser psychologischen Faktoren zu werden, zum Spielball Ihrer Emotionen.

Prof. Dr. Thorsten Hens, Universität Zürich

Auch die eigene Kultur prägt gemäss Thorsten Hens: «In Australien neigt man zu Ungeduld und Schweizerinnen und Schweizer haben häufig einen Home Bias, das heisst, sie haben die Tendenz, Geldanlagen auf dem Heimatmarkt überproportional zu gewichten.» Auch geschlechterspezifische Unterschiede gebe es: «Frauen sind tendenziell risikoscheuer als Männer und investieren lieber in Sachanlagen wie Häuser oder Gold als in Finanzanlagen wie Aktien oder Obligationen.» Universell verbreitet sei die Tendenz, nach hinten zu schauen statt nach vorne, also immer gerade das zu machen, was in den vergangenen Wochen das Beste gewesen wäre und nicht das, was in der Zukunft gut sein wird.

Der Investitionsplan muss zu einem passen

Zu denken, in jedem Moment das Richtige tun zu können, ist folglich eine Fehleinschätzung. «Sie brauchen einen Plan, eine Strategie, um nicht zum Spielball dieser psychologischen Faktoren zu werden, zum Spielball Ihrer Emotionen», sagt Thorsten Hens. Eine Anlagestrategie sei dann langfristig erfolgreich, wenn sie zur Persönlichkeit passe: «Viele Strategien funktionieren, aber Sie müssen sich fragen, was entspricht mir – und wie messe ich überhaupt Erfolg.» Frauen haben nach zehn Jahren typischerweise weniger Rendite als Männer. Aber ist eine hohe Rendite immer das Ziel? Die einen wollen mehr Rendite und nehmen grosse Schwankungen in Kauf, die anderen geben sich mit weniger Rendite zufrieden, weil sie mit kleinen Schwankungen ruhiger schlafen können.

Investieren ist keine rein rechnerische Aufgabe. «Investieren ist eine Charakterschule », sagt Thorsten Hens. Wer investiert, erfahre viel über sich selbst, lerne, aus Krisen gestärkt herauszukommen und den Mut nicht zu verlieren. Man lerne aber auch das süsse Gift des Erfolgs kennen, das einen dazu verleitet, zu optimistisch, ja übermütig zu werden. «Das ist der psychologische Knackpunkt», so Thorsten Hens, «wenn alle jubeln, müssen Sie vorsichtig sein, und wenn alle aufheulen, dann müssen Sie Mut haben.» Gegen den Strom zu schwimmen sei langfristig erfolgreicher. Aber auch das müsse zur Persönlichkeit passen.

Mit dem Instituto BME zum eigenen Investitionsstil

Das Instituto BME ist das Schulungszentrum der spanischen Börsen BME, die jetzt zu SIX gehören. Mit seinen verschiedenen Kursen zum Finanzwissen fördert das Institut die Finanzkultur in allen Bevölkerungsschichten, national wie auch international. Dabei befasst es sich auch mit der Psychologie des Investierens. So bietet das Institut beispielsweise den Kurs «Psychologie des Handels und des Geldmanagements» an: Die Teilnehmenden lernen, ihren eigenen Investitionsstil zu entwerfen, indem sie spezifische psychologische Aspekte berücksichtigen und lernen, emotionale Impulse zu kontrollieren. Das Kursangebot des Instituto BME enthält neben Schulungen mit Lizenzierung für Händlerinnen und Händler unter anderem auch Aus- und Weiterbildungen zum Finanzmarkt und zu Finanzprodukten, zu FinTech und zur Regulierung.

Eine Anlegerin oder ein Anleger braucht also eine Strategie, mit der sie oder er sich wohlfühlt, die zur Risikobereitschaft und den Zielen – aber auch zum Kapital und dem Anlagehorizont passt. Bewährte Anlagestrategien gibt es viele: Value, Growth, Index, Trend oder Buy and Hold Investing, jede Strategie hat neben Vorteilen auch Nachteile. Die perfekte Strategie gibt es nicht. Das mache aber nichts, sagt Thorsten Hens, in der Vergangenheit seien diese und viele andere Anlagestrategien erfolgreich gewesen. «Betrachten wir die Anlagestrategien, die in den vergangenen 25 Jahren den Markt geschlagen haben, zeigt sich, dass der Unterschied zwischen der schlechtesten Rendite von 8,58 % und der besten Rendite von 11,51 % über den gesamten Zeitraum ‹nur› rund 3 % pro Jahr betragen hat. Kommt hinzu, dass dieser Unterschied in den nächsten 25 Jahren genauso gut zugunsten der bislang schlechtesten Strategie ausfallen kann. Sowas kann man nicht vorhersagen.»

Alles ist besser als Sparen

Anders gesagt: Die Frage, welche Strategie ich wähle, ist relativ unbedeutend gegenüber dem psychologischen Risiko, die beiden eingangs erwähnten grössten Investitionsfehler zu machen: gar nicht zu investieren oder zum falschen Zeitpunkt abzubrechen. Denn wenn ich während eines Crashs aussteige, wird mein Verlust vermutlich zu hoch sein, um ihn in den Folgejahren wiedergutmachen zu können. Deshalb sei es so wichtig, sagt Thorsten Hens, eine Strategie zu wählen, die man beibehalten kann: «Es ist wie in der Ehe: Heiraten Sie die Person, mit der Sie durch dick und dünn gehen wollen. Ständig wechseln ist teuer.» Alle bewährten Strategien sind jedenfalls besser, als das Geld auf dem Sparbuch zu lassen. In den letzten 500 Jahren gab es nur eine Zehnjahresperiode, in der Aktien ein Verlustgeschäft waren: von 1929 bis 1939.

Eine Anlagestrategie zu haben ist in Zeiten der Digitalisierung noch wichtiger geworden. Ohne läuft man Gefahr, durch die ständig auf einen einprasselnden Informationen hin- und hergeworfen zu werden. Die Turbulenzen um die Aktien von GameStop zeigten eindrücklich, wie gerade Social Media, in diesem Fall Reddit, das Verhalten von Anlegerinnen und Anlegern steuern können. Die Kadenz und der Überfluss an Informationen beeinflussen das Investieren eher negativ, ist Thorsten Hens überzeugt: «Es gibt jeweils zig Informationen, die für Kaufen sprechen, und ebenso zig Informationen, die für Verkaufen sprechen. Zuletzt entscheidet die persönliche Stimmung.» Mit einer langfristigen Strategie muss man gar nicht erst alles wissen.

Roboter statt Gambler

Während die neuen Kommunikationstechnologien für Anlegerinnen und Anleger auch schon mal zum Fluch werden, könnte sich die Robotertechnologie beziehungsweise die künstliche Intelligenz als Segen herausstellen. Roboter können Routinearbeiten bei Finanzinstituten wie beispielsweise die Kundenbefragung schneller erledigen. Während der eigentlichen Beratung muss die Chemie, beziehungsweise die Psychologie, zwischen den Beratenden und der Kundin oder dem Kunden aber stimmen. Das sei mit einem Roboter schwer zu schaffen, Menschen würden eher Menschen als Maschinen vertrauen, sagt Thorsten Hens.

Investieren ist eine Charakterschule.

Prof. Dr. Thorsten Hens, Universität Zürich

In seinem neusten Projekt stellt er darum den Prozess auf den Kopf und baut einen Roboter, mit dem sich die Persönlichkeit von Anlegerinnen und Anlegern ermitteln lässt. «Wir beginnen mit der psychologischen Persönlichkeit und nicht nur mit der Rendite-Risiko-Präferenz der Kundin oder des Kunden und schon gar nicht mit den Eigenschaften der Produkte. » Die Psychologie des Investierens wird sozusagen verroboterisiert.

Auch BME Inntech nutzt die Robotertechnologie und hat jüngst einen Roboadvisor lanciert. BME Inntech liefert technologische Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Finanzmärkte und gehört nach der Übernahme der spanischen Börsen BME zu SIX. Der Roboadvisor ermöglicht es Finanzinstituten, die Investitionen der Kundinnen und Kunden zu optimieren. Er verwendet ein unterhaltsames Spiel, um deren Präferenzen und Vorkenntnisse zu identifizieren. Es ist das gleiche Prinzip, das zum Beispiel Netflix einsetzt: Der Roboadvisor zeigt verschiedene Anlagemöglichkeiten, aus denen die Kundin oder der Kunde die auswählen kann, die er oder sie attraktiv findet. Darauf aufbauend schlägt er passende Anlagen vor.

Berta Ares, Managing Director BME Inntech, ist überzeugt, dass intelligente Roboadvisors aus der künftigen Anlagewelt nicht mehr wegzudenken sein werden: «Denn wenn alle ausser mir sie benutzen, dann werde ich Geld verlieren, dann gamble ich nur», sagt sie.

100 % Rendite in acht Jahren

Gambling verboten, das gilt auch für die 15 auserwählten Studierenden, die Thorsten Hens jeweils aus einer Dreihundertschaft rekrutiert. Ein Jahr lang dürfen diese in Fünfergruppen ein Portfolio verwalten, das ein Sponsor zur Verfügung gestellt hat. Vor acht Jahren starteten die ersten Teams mit 3 Millionen Franken. Daraus sind inzwischen 6 Millionen geworden. 100 % Rendite in acht Jahren, nicht schlecht. Dabei dürfen die Studierenden keine bekannten Strategien verwenden. Das kann ja jede und jeder. Sie müssen Neues erfinden, woraus sich womöglich in einigen Jahren Strategien entwickeln, die als bewährt gelten werden. Darauf werden wir normalen Anlegerinnen und Anleger uns dann gerne verlassen, jeweils auf die Strategie, die am besten zur Persönlichkeit passt.