Was die Schweiz und Spanien miteinander teilen und wo sie voneinander profitieren können

Was die Schweiz und Spanien miteinander teilen und wo sie voneinander profitieren können

Anlässlich der EU-Ratspräsidentschaft Spaniens haben wir gemeinsam mit der spanischen Botschafterin María Celsa Nuño García in Bern und dem Schweizer Botschafter für Spanien und Andorra, Hanspeter Mock, die beiden Länder unter die Lupe genommen. Im Interview erläutern sie, was die Schweiz und Spanien ausmacht, was sie vereint und wie sie voneinander lernen können.

Was mögen Sie am meisten an der Schweiz, was an Spanien?

Botschafterin María Celsa Nuño García (CN): Die kulturelle Vielfalt der Schweiz. Obwohl es keine gemeinsame offizielle Sprache für alle Schweizer gibt, gibt es keine Kommunikationsprobleme. Die Mehrsprachigkeit ist Teil der Schweizer Identität.

Botschafter Hanspeter Mock (HM): Ich habe Spanien schon immer geliebt und bewundere die Vielfalt und den Reichtum an Geschichte, Kultur und Gastronomie. Was ich sehr schätze ist die menschliche Wärme, die man auch als Ausländer in Spanien erfährt - und die Spontanität.

Was verbindet und was unterscheidet die Länder?

CN: Als Demokratien eint uns der Wille, die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Bevölkerung zu wahren und die Überzeugung, dass die Politik im Dienst der Bürgerinnen und Bürger steht. Unsere Wirtschaftsbeziehungen sind stark. Die bilateralen Handelsströme haben sich in den letzten zehn Jahren fast verdreifacht. Spanien ist beispielsweise ein wichtiger Lieferant von Fahrzeugen für die Schweiz und es kommen 40 % der Obst- und Gemüseimporte aus meinem Heimatland. Auch wächst die Präsenz von Schweizer Unternehmen in Spanien und umgekehrt. Für Spanien sind die Tourismusströme aus der Schweiz sehr bedeutsam. Im Jahr 2017 verzeichneten wir mit zwei Millionen Touristinnen und Touristen aus der Schweiz einen Besucherrekord!

HM: Unsere beiden Länder sind viel stärker miteinander vernetzt, als man auf den ersten Blick vermuten würde. So war die Schweiz mitten in der Pandemie einer der wichtigsten ausländischen Investoren in Spanien. Das hat auch mit der Übernahme von BME durch SIX zu tun. Neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist auch die in der Wissenschaft und der Kultur stark ausgeprägt. Das zeigen unter anderem die letzten grossen Ausstellungen spanischer Malerei in der Schweiz oder die zunehmende Präsenz von Schweizer Kulturschaffenden in spanischen Kulturinstitutionen. In der Wissenschaft ist etwa die Kooperation im Bereich der Astrophysik sehr fruchtbar. Nicht zu vergessen ist auch die Mobilität der Menschen aus beiden Ländern. Heute leben rund 25'000 Schweizerinnen und Schweizer in Spanien. Die Zahl der in der Schweiz ansässigen Spanierinnen und Spanier ist höher, was zum Teil noch mit der grossen Auswanderungswelle in den 1950er-Jahren zusammenhängt. Übrigens ist die Schweiz heute – nach Spanien – das europäische Land mit den meisten spanischen Muttersprachlern pro Einwohner. Aber ja – es gibt auch Unterschiede. Ich denke da vor allem an die Zurückhaltung, ja fast Introvertiertheit, die ich in der Schweiz wahrnehme, im Vergleich zum lebendigen spanischen Charakter.

Die aktuelle geopolitische Lage erinnert uns daran, wie wichtig es ist, Bündnisse zu schliessen, um die grossen Herausforderungen zu bewältigen.

María Celsa Nuño García, spanische Botschafterin für die Schweiz

Wie würden Sie die Beziehung zwischen der Schweiz und Spanien beschreiben? Wie sieht die gemeinsame Geschichte aus?

HM: Unsere bilateralen Beziehungen reichen bis in die Römerzeit zurück. Zeugnisse dafür sind etwa die Einfuhr von Wein und Öl aus Hispanien in das Gebiet der heutigen Eidgenossenschaft. Kürzlich feierten wir den 150. Jahrestag des ersten gemeinsamen Freihandelsabkommens zwischen der Schweiz und Spanien. Es wurde im Jahr 1869 unterzeichnet. Das Schweizer Generalkonsulat in Barcelona wurde sogar schon vor mehr als 175 Jahren eröffnet.

CN: Seit den 1950er-Jahren haben wir auch starke menschliche Bindungen. Heute leben ca. 140’000 Spanierinnen und Spanier in der Schweiz. Sie sind hervorragend integriert und fühlen sich in der Schweiz sehr wohl. 50’000 von ihnen haben auch beide Staatsangehörigkeiten. Beim Austausch mit kantonalen Behörden habe ich festgestellt, dass die spanische Gemeinschaft, übrigens die sechstgrösste ausländische Bevölkerungsgruppe in der Schweiz, sehr geschätzt wird. Das macht mich sehr stolz.

Ein Blick auf die Landesbevölkerung

Einwohnerinnen und Einwohner:

Spanien: 47.62 Millionen

Schweiz: 8.81 Millionen

 

Ausgewandert:

25'800 Schweizerinnen und Schweizer leben in Spanien.

138'200 Spanierinnen und Spanier leben in der Schweiz.

Welche Bedeutung haben Spanien und die Schweiz füreinander?

HM: Spanien ist für die Schweiz ein wichtiger europäischer Partner und ein Fenster nach Afrika und Lateinamerika – zwei wichtige Regionen für unseren Kontinent. In der Aussenpolitik teilen und verteidigen wir die gleichen Werte der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Friedensförderung und der Grundrechte. Wir arbeiten zum Beispiel auch für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe eng zusammen. Die Förderung dieser gemeinsamen Werte ist aktuell von besonderer Bedeutung, da Spanien - in einem unruhigen geopolitischen Kontext – die EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte übernommen hat und die Schweiz in 2023 und 2024 nichtständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats ist.

CN: Spanien und die Schweiz sind zwei Länder, die in verschiedenen Bereichen sehr gut zusammenarbeiten. Wir haben keine nennenswerten Uneinigkeiten. Wir teilen Werte, respektieren und bewundern uns gegenseitig. Wir pflegen starke wirtschaftliche und menschliche Beziehungen. Die aktuelle geopolitische Lage erinnert uns daran, wie wichtig es ist, Allianzen zu bilden, um die grossen Herausforderungen der Zeit zu bewältigen. Ein wichtiger Teil unserer Handelsbeziehungen findet im Rahmen der Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union statt. Spanien ist ein ausgesprochen proeuropäisches Land. Deshalb verfolgen wir die Kontakte zwischen Bern und Brüssel aufmerksam und mit dem Wunsch, dass sie zu einer Stärkung und Erweiterung unserer Beziehungen führen werden.

 

Spanien übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft

Die EU-Ratspräsidentschaft bezeichnet den sechsmonatigen Zeitraum, in dem ein EU-Mitgliedstaat die Verantwortung für die Leitung und Koordination des EU-Rats übernimmt. In dieser Funktion organisiert und leitet das Land Sitzungen, Gipfeltreffen und Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten. Es fördert die Zusammenarbeit und arbeitet eng mit anderen Mitgliedstaaten zusammen, um politische Entscheidungen vorzubereiten und gemeinsame Positionen zu entwickeln. Spanien agiert in dieser Rolle auch als Vermittler und Koordinator zwischen den EU-Institutionen. Der EU-Rat ist nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat oder dem Europarat, da es sich um unterschiedliche Gremien handelt, die jeweils andere Aufgaben und Zuständigkeiten haben.

Was können die beiden Länder voneinander lernen?

HM: Die Schweiz könnte von Spanien lernen, mehr Spontanität in den sozialen Beziehungen an den Tag zu legen. Wir könnten uns auch vom grossen Gespür für Solidarität inspirieren lassen, das speziell während der Covid-19-Pandemie spürbar war.

CN: Die Schweiz ist weltweit führend in der Innovation. Die Kooperation zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor in der angewandten Forschung, insbesondere im Rahmen der technischen Hochschule Lausanne und Zürich, ist bewundernswert. Zudem ist das duale Bildungssystem der Schweiz sehr interessant. Spanien hingegen ist ein Musterbeispiel im Bereich der Infrastrukturen. Zum Beispiel haben wir nach China das zweitgrösste Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetz der Welt, acht spanische Unternehmen gehören zu den dreissig Unternehmen, die weltweit die meisten Konzessionen erhalten haben (Brücken, Strassen etc.) und die Glasfaserverbreitung ist die höchste in Europa. Ausserdem ist Spanien das Land in Europa mit der zweithöchsten Stromerzeugung durch erneuerbare Energien. Bei der Gleichstellung der Geschlechter zählt Spanien zu den Ländern, die am weitesten fortgeschritten sind.

HM: Gerne teilen wir unsere Erfahrungen in Bereichen die für Spanien von Interesse sind. Und ich bin überzeugt: Wenn sich im Finanzbereich schweizerische Seriosität, Zuverlässigkeit und Know-how mit spanischer Dynamik und Kreativität verbinden, kann das für beide nur von Vorteil sein. Der Zusammenschluss von SIX und BME ist ein Beispiel dafür. Die Regierungen und Aufsichtsbehörden von beiden Ländern ziehen eine sehr positive Bilanz. Es ermöglicht der Gruppe sowohl auf europäischer als auch auf globaler Ebene ein wichtiger Branchenplayer zu sein. Das ist in Zeiten, in denen sich auf der Welt viel bewegt auch für den europäischen Kontinent und die anstehende spanische EU-Präsidentschaft von Bedeutung.

CN: In diesem Zusammenhang möchte ich gerne hinzufügen, dass Spanien nicht nur eine europäische Nation, sondern auch eine iberoamerikanische und mediterrane ist. Eines der Ziele der spanischen EU-Ratspräsidentschaft besteht darin, die Beziehungen der Europäischen Union zu Lateinamerika und zur südlichen Nachbarschaft zu stärken. Spanien kann seine besonderen Beziehungen zu den Ländern, die zu diesem geografischen Raum gehören, in die Schweiz einbringen.