Was bedeutet die Blockchain für Zentralbanken?

Was bedeutet die Blockchain für Zentralbanken?

Andréa M. Maechler, Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, beschäftigt sich intensiv mit der Zukunft der Schweizer Finanzmarktinfrastruktur. Dazu gehören auch die Implikationen neuer Technologien. Projekt Helvetia, zum Beispiel, prüft die Verwendung von Zentralbankgeld bei Transaktionen mit tokenisierten Vermögenswerten.

Image credit: Louis Rafael Rosenthal/Risk.net

Digitale Börsen wie die SDX von SIX wollen in Zukunft den Handel tokenisierter Vermögenswerte auf Basis der Distributed Ledger Technology (DLT) ermöglichen. Welche Implikationen hätte das für die Schweizerische Nationalbank (SNB)?

Die Finanzmarktinfrastruktur ist gewissermassen das Herz unseres Finanzsystems. Hier werden die Zahlungen und Wertschriften des Schweizer Finanzplatzes abgewickelt. Und die SNB führt über dieses System ihre geldpolitischen Operationen aus. Daher ist es für uns absolut zentral, eine sichere, effiziente und zukunftsfähige Finanzmarktinfrastruktur zu gewährleisten.

Neue Systeme auf Basis der DLT könnten grosse Teile der heutigen Finanzmarktinfrastruktur grundlegend verändern. Inwiefern diese Technologie tatsächlich zu den erhofften Effizienzgewinnen führt, muss sich sicherlich erst noch zeigen. Für uns als Zentralbank ist es jedoch wichtig, die Implikationen dieses technologischen Wandels bereits heute gut zu verstehen.
 

Die SNB hat sich dafür mit dem Innovation Hub der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und SIX zusammengetan. Was macht Projekt Helvetia speziell?

Projekt Helvetia ist Teil des Schweizer Zentrums des Innovation Hubs der BIZ, das die BIZ und die SNB gemeinsam betreiben. Wir setzen uns bei diesem Projekt mit der Grundsatzfrage auseinander, wie Geld – und insbesondere Zentralbankgeld – in eine DLT-Infrastruktur integriert werden könnte. Dabei gilt es vor allem, eine Brücke zwischen der bestehenden Infrastruktur und der neuen Welt zu schlagen, in der Transaktionen in Echtzeit und rund um die Uhr abgewickelt werden können.

Wir gehen die Aufgabe mit einer Reihe von Experimenten an. Projekt Helvetia hat den grossen Vorteil, dass wir auf bereits weit entwickelten Infrastrukturen experimentieren können. Wir nutzen die Testsysteme des Schweizer Zahlungssystems SIC und der SDX. Damit sind unsere Experimente technisch viel näher an der Realität als bisherige.
Der Innovation Hub der BIZ ermöglicht dabei eine neue Form der Zusammenarbeit. Er erlaubt es uns, ausgewählte Projekte zu vertiefen. Im Projekt Helvetia arbeiten Technologiespezialisten, Juristen, Ökonomen und Experten der Finanzmarktinfrastruktur eng miteinander. Die Zusammenarbeit über viele verschiedene Disziplinen hinweg ist für mich ein Schlüsselfaktor für den Erfolg von Projekt Helvetia.
 

Die erste Phase des Projekts Helvetia untersuchte zwei verschiedene Wege, wie Zentralbankgeld für die Abwicklung tokenisierter Vermögenswerte verwendet werden könnte. Wie unterscheiden sich diese?

Zum einen haben wir die Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld auf der DLT-Infrastruktur der SDX untersucht. Dieses Geld nennt man Wholesale Central Bank Digital Currency, kurz Wholesale CBDC, weil es auf bestimmte Finanzmarktakteure beschränkt ist. Zum anderen haben wir die einfache Anbindung der SDX an das Schweizer Zahlungssystem SIC geprüft – also ohne dabei digitales Zentralbankgeld auszugeben.

Unsere Experimente haben gezeigt, dass die geldseitige Abwicklung der digitalen Vermögenswerte im Prinzip auf beide Arten erfolgreich durchgeführt werden kann. Der erste Ansatz, der die Ausgabe von Wholesale CBDC beinhaltet, ist innovativer und umfassender, weil er zum Beispiel die Ausführung sogenannter Smart Contracts erleichtert. Dieser Ansatz birgt aber auch viele operative und strategische Herausforderungen. Der zweite Ansatz über die System- anbindung ist näher am Status quo und er wäre leichter realisierbar, es könnte aber bedeuten, dass auf wesentliche Vorteile der neuen Technologie verzichtet werden müsste. Wichtig ist auf jeden Fall der Nachweis, dass DLT-basierte Transaktionen sicher mit Zentralbankgeld abgewickelt werden können.
 

Wie geht es mit Projekt Helvetia weiter?

In einer zweiten Phase von Projekt Helvetia wollen wir untersuchen, wie DLT-Infrastrukturen, die rund um die Uhr betrieben werden und Transaktionen in Echtzeit abwickeln, mit den Kernbankensystemen der SNB und von Geschäftsbanken verbunden werden können. So können wir die bestehende Welt und die neue Welt der DLT aus einer End-to-end-Perspektive analysieren. Auch diese Phase des Projekts dient dazu, Erkenntnisse darüber zu sammeln, welche Optionen Zentralbanken bei der Integration der Geldseite in eine DLT-basierte Finanzmarktinfrastruktur haben. Dabei sollen wiederum die Vor- und Nachteile von digitalem Zentralbankgeld gegenüber der erwähnten Anbindung an das Schweizer Zahlungssystem SIC geprüft werden.
 

Zusammen mit der BIZ und sechs weiteren Zentralbanken hat sich die SNB im Oktober 2020 in einem Report auch zu Retail CBDC geäussert. Nimmt dieses Thema jetzt noch einmal Fahrt auf?

Der von Ihnen angesprochene Report beschreibt Kerneigenschaften von digitalem Zentralbankgeld für das breite Publikum, kurz Retail CBDC. Im Gegensatz zu einer Wholesale CBDC, die den Zugang zu digitalem Zentralbankgeld auf Finanzmarktakteure beschränkt, würden mit Retail CBDC auch Haushalte und Unternehmen Zugang zu digitalem Zentralbankgeld haben. Heute ist Zentralbankgeld für das breite Publikum nur in Form von Bargeld erhältlich.

Breit verfügbares digitales Zentralbankgeld könnte weitreichende Folgen für das gesamte Finanzsystem haben. Sollten zum Beispiel Bankkunden in grossem Umfang ihre Einlagen in Retail CBDC umschichten, würde dies das traditionelle Geschäftsmodell der Banken komplett verändern. Für die SNB gilt es daher, die internationalen Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen und sich darüber mit anderen Zentralbanken auszutauschen. Ein solches Engagement sollte man aber nicht mit einer Absichtserklärung für die Einführung von Retail CBDC gleichsetzen.
 

Unsere Experimente sind technisch viel näher an der Realität als bisherige.

Andréa M. Maechler, Schweizerische Nationalbank

Welche anderen Themen der Finanzmarktinfrastruktur beschäftigen Sie zurzeit?

Die SNB beschäftigt sich intensiv mit der kontinuierlichen Weiterentwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Dieser ist in der Schweiz zwar schon heute äusserst zuverlässig, sicher und effizient, aber die Welt befindet sich im Umbruch. Der rasche Wandel wirkt sich auch auf die Finanzmarktinfrastruktur aus: Neue Technologien, neue Wettbewerber und neue Kundenbedürfnisse haben den Zahlungsverkehr in den Fokus gerückt.

Die SNB führt deshalb gemeinsam mit SIX und weiteren Vertretern des Privatsektors einen strategischen Dialog darüber, wie man den bargeldlosen Zahlungsverkehr in der Schweiz auf dieses «New Normal» ausrichten kann. An dieser Stelle möchte ich das SIC5-Projekt erwähnen. In diesem Projekt schaffen die SNB und SIX gemeinsam die Voraussetzungen für Instant Payments auf Infrastrukturebene. Damit werden Zahlungen unmittelbar und rund um die Uhr möglich. Ich bin überzeugt, dass Instant Payments ein wichtiger Teil des «New Normal» sein werden.
 

Sie haben international Karriere gemacht und beobachten als Mitglied des SNB-Direktoriums täglich die Geschehnisse auf den globalen Finanzmärkten. Hand aufs Herz, ist der Schweizer Finanzplatz genug schnell unterwegs, was neue Technologien betrifft?

Viele Schweizer Unternehmen und Universitäten leisten einen wesentlichen Beitrag zu Erforschung und Entwicklung neuer Technologien wie DLT. Auch die SDX als digitale Börse wäre in dieser Form eine Weltpremiere. Ausserdem ist die Schweiz auf gutem Weg, die nötigen rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen zu etablieren. Für mich ist es vor allem auch das Zusammenwirken des ganzen FinTech-Ökosystems, das den Schweizer Standort dynamisch und attraktiv macht – nicht nur bei DLT.

Um diese Dynamik beizubehalten und weiter zu fördern, ist es wichtig, genügend Raum für Innovationen zu schaffen und gleichzeitig zur Stabilität unserer bestehenden Systeme beizutragen. Ein aktiver Dialog und eine enge und konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Marktteilnehmern, den Regulatoren und der Zentralbank sind in der Schweiz fest verankert. Auf diesen Pfeilern sollten wir auch die zukünftigen Systeme aufbauen. Die SNB ist voll und ganz dabei und freut sich darauf, diese Zusammenarbeit auch in Zukunft mitzugestalten.