Digitale Vermögenswerte auf dem Weg zur Institutionalisierung

Digitale Vermögenswerte auf dem Weg zur Institutionalisierung

2020 war ein Jahr, das von Marktvolatilität und Unsicherheit geprägt war. Zwar hat sich der Volatilitätsindex (VIX) inzwischen stabilisiert, in den letzten zehn Monaten kam es aber aufgrund von COVID-19 zu erheblichen Kursausschlägen an den Aktienmärkten. Gleichzeitig haben die aggressiven geldpolitischen Massnahmen der Zentralbanken dazu geführt, dass das Zinsniveau, das sich schon seit der Finanzkrise auf einem historischen Tiefstand befindet, wohl in naher Zukunft unverändert bleiben wird. Diese herausfordernden makroökonomischen Gegenwinde machen es den Anlegern immer schwieriger, laufend Erträge zu erzielen. Infolgedessen suchen immer mehr Institutionen digitale Anlageklassen wie Krypto-Währungen als mögliche Alpha-Quellen auf.

«Die Investitionsmöglichkeiten an den traditionellen Märkten sind heute beschränkt. Ausserdem erkennen die Institutionen jetzt, dass Krypto-Währungen eine interessante Anlageklasse sind und nehmen diese nun zunehmend in ihre Portfolios auf», sagte Peter Hofmann, CEO von Custodigit, einem Joint Venture, das von Swisscom, einem der führenden Telekommunikations- und IT-Unternehmen der Schweiz, und Sygnum, der weltweit ersten von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) formell anerkannten Bank für digitale Vermögenswerte, gegründet wurde. Obwohl das Thema «Digitale Vermögenswerte» noch eine junge Entwicklung ist, haben Finanzmarktinfrastrukturen (FMIs) und globale Depotstellen das zunehmende Interesse ihrer Kunden an diesen Instrumenten erkannt. Da institutionelle Anleger ihre Investitionen in die digitalen Vermögenswerte immer weiter steigern, werden FMIs und Depotstellen Lösungen entwickeln müssen, um den Bedürfnissen ihrer Kunden gerecht zu werden.

Was sind digitale Vermögenswerte?

Laut Tim Grant, Head SIX Digital Exchange (SDX), seien digitale Vermögenswerte nicht homogen, sondern diversifiziert, und würden sich über verschiedene Arten von Finanzinstrumenten erstrecken. «Meiner Meinung nach ist ein digitaler Vermögenswert ein reguliertes Wertpapier, dessen Wert von einem realen Vermögenswert abgeleitet ist, z. B. von einer Aktie, einem Derivat, einer Fondsstruktur, einer Gewerbeimmobilie oder sogar von einem Kunstwerk», so Grant. Und wie funktionieren sie? Bei der Tokenisierung wird ein Vermögenswert in einen digitalen Token umgewandelt, der in viele kleinere Einheiten aufgeteilt werden kann. Da Token teilbar sind, sind sie billiger und leichter handelbar, was insbesondere in illiquiden Märkten zur Steigerung der Liquidität beiträgt. «Dank Tokenisierung können ganz unterschiedliche Vermögenswerte über die Blockchain elektronisch abgebildet werden. Somit sind diese Werte für eine grössere Anzahl von Anlegern zugänglich, durch Anteilseigentum («Fractional Ownership») erschwinglich, einfach handelbar und effizienter im Asset-Servicing. Für Anleger erschliessen sich somit Anlageklassen wie Venture Capital, Mid Cap-Unternehmen sowie Bereiche wie Immobilien und Kunst- und Sammelobjekte, die früher als schwer zugänglich galten», sagt Fabian Dori, Group CEO und Head Asset Management bei Sygnum. 

Die Tokenisierung macht nicht nur den Kauf von Wertschriften für Anleger einfacher, sondern kann auch kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) den Zugang zu den Kapitalmärkten erleichtern. «70 % der Schweizer KMU beteiligen sich nicht an den Kapitalmärkten. Der Prozess der Kapitalbeschaffung kann sehr komplex und teuer sein. Die Tokenisierung könnte diesen KMU neue Möglichkeiten der Beschaffung von Finanzmitteln eröffnen», erklärte Johannes Höhener, Head of FinTech bei Swisscom. Dori stimmte zu: «Emittenten profitieren von niedrigeren Kosten, erhöhter Automatisierung, insbesondere im Bereich «Asset Servicing»; für sie eröffnen sich neue Wege der Kundengewinnung».

Ausser den tokenisierten Vermögenswerten gibt es noch die Krypto-Währungen. «Krypto-Währungen sind typischerweise unreguliert, werden über ein öffentliches Blockchain-Netzwerk gehandelt und sind nicht von einem physischen Vermögenswert unterlegt», sagte Grant.  Bitcoin, Ripple und Ethereum sind möglicherweise die bekanntesten Krypto-Währungen. Jedoch gehören auch StableCoins zu den Krypto-Währungen. StableCoins sind im Grunde Krypto-Währungen, deren Marktwert an eine oder mehrere Fiat-Währungen oder gar an einen bestimmten Rohstoff gekoppelt ist. Zentralbanken interessieren sich zunehmend für Krypto-Währungen und einige führen sogar digitale Versionen ihrer eigenen Fiat-Währungen ein, die CBDCs («Central Bank Digital Currencies»). So entwickelt die Schweizerische Nationalbank (SNB) derzeit ihre eigene Machbarkeitsprüfung («Proof of Concept», PoC), die die Emission von CBDCs unterstützten soll. Was all diese digitalen Vermögenswerte miteinander vereint, ist die Distributed-Ledger-Technologie (DLT), die die Emission, den Handel, die Verwahrung und die Abwicklung von digitalen Vermögenswerten möglich macht.
 

Investoren am Scheideweg mit digitalen Vermögenswerten

«Was einst ein Nischenmarkt war und sich stark an Privatkunden richtete, wird nun immer institutioneller: Asset Managers, Family Offices und vermögende Privatanleger, die High Net Worth Investors (HNWIs), beginnen, in digitale Vermögenswerte zu investieren», beteuerte Grant. Andere stimmen zu. «Die bedeutendsten Teilnehmer am Kryptowährungsmarkt sind die Miners, Krypto-(Hedge-)Fonds und -Stiftungen sowie private und professionelle Anleger. Zunehmend steigen auch traditionelle institutionelle Anleger wie die Tudor Investment Corporation oder Unternehmen wie Square and MicroStrategy in diesen Bereich ein und investieren in erheblichem Umfang in Krypto-Währungen», sagte Dori. MicroStrategy kündigte Anfang Dezember 2020 an, 400 Millionen Dollar aufbringen zu wollen, um noch mehr in Bitcoin zu investieren. Höhener argumentierte, dass diese Veränderungen auf den demografischen Wandel zurückzuführen seien, da Anleger heutzutage jünger und offener für den Handel mit digitalen Vermögenswerten seien als ihre Vorgänger. «Allerdings», fügte er hinzu, «erfolgt der Grossteil der Investitionen in Krypto-Währungen, nicht in die Wertschriften-Token, da die Emissionsvolumina bei den Letzteren noch sehr gering sind. Daher mangelt es den digitalen Vermögenswerten an Liquidität. Eine Umfrage von Fidelity Digital Assets ergab, dass 36 % der institutionellen Anleger derzeit in digitale Vermögenswerte investieren. Dabei gaben 91 % der Teilnehmer, die von Fidelity befragt wurden, an, dass sie den Anlagen in digitale Vermögenswerte offen gegenüberstehen und dass sie erwarten, in den nächsten fünf Jahren mindestens 0,5 % ihres Gesamtportfoliowertes in diese Anlageklasse investiert zu haben. 

Das Interesse der institutionellen Anleger an digitalen Vermögenswerten nimmt zwar weiter zu, Fidelity hat aber eine Reihe von Hindernissen identifiziert, die Anleger vom Handel mit diesen Instrumenten abhalten. 53 % der Anleger gaben die Volatilität als Hindernis an, während 47 % die Marktmanipulation und 45 % das Fehlen handfester Fundamentaldaten, auf denen der Wert und die Preisgestaltung der Vermögenswerte beruhen, anführten. «Die Komplexität stellt ein weiteres Problem für eine Reihe von Anlegern dar, da viele Institutionen nicht verstehen, wie sie digitale Vermögenswerte erwerben können. Es gibt nur sehr wenige Anbieter, die Anlegern einen Zugang zu digitalen Vermögenswerten bereitstellen», erklärte Hofmann. Auch andere Faktoren halten Anleger vor diesen Investitionen ab, nicht zuletzt das Gegenparteirisiko. Eine Reihe von Ausfällen und Cyber-Attacken an den Krypto-Börsen vermittelten den Anlegern das Gefühl, dass die Infrastruktur, die die digitalen Vermögenswerte unterstützt, verwundbar ist. Solange diese Anbieter nicht einer sorgfältigen Regulierungsaufsicht unterliegen und die Best Practices der Branche in Bezug auf das Risikomanagement nicht übernehmen, wird sich der Markt nur schwer institutionalisieren können.
 

Entwicklung von Standards und Schaffung sinnvoller Regelungen

Eine klare und effektive Regulierung wird auch wesentlich dazu beitragen, institutionelles Kapital in die digitalen Vermögenswerte zu treiben. Der von der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (ISSA) erstellte Bericht wies darauf hin, dass die Vorschriften für Krypto-Währungen und digitale Vermögenswerte über verschiedene Märkte hinweg uneinheitlich sind. 2  Die ISSA sprach zwar davon, dass viele Aufsichtsbehörden Rahmenbedingungen für digitale Vermögenswerte schaffen, um Anleger zu schützen und die Marktintegrität zu gewährleisten. Auf der anderen Seite bedeutet das aber auch, dass FMIs und Depotstellen Krypto-Dienstleistungen in einem sehr unsicheren rechtlichen Umfeld entwickeln.3  Es ist von entscheidender Bedeutung, dass das Wertpapierrecht – in Bezug auf die digitalen Vermögenswerte – harmonisiert wird. Tatsächlich sind einige Märkte – allen voran die Schweiz – bei der Entwicklung von rechtlichen Grundlagen für digitale Vermögenswerte der Zeit voraus. So hat zum Beispiel die Schweiz grundlegende Anforderungen für digitale Börsen eingeführt und konkursrechtliche Vorschriften durchgesetzt, die den digitalen Vermögenswerten, die bei Drittdepotstellen verwahrt werden, zusätzlichen Schutz bieten.4  «Immer mehr Regulierungsbehörden ändern oder ergänzen bestehende Gesetze, um Krypto-Währungen zu berücksichtigen, so z. B. die Verabschiedung des Blockchain-Gesetzes in der Schweiz. Das sorgt für mehr regulatorische Klarheit», erklärte Dori. Dieses Gesetz wird dazu beitragen, den Ruf der Schweiz als führender DLT-Markt zu festigen.

Während sich die globalen regulatorischen Ansätze zur Überwachung digitaler Vermögenswerte als Flickenteppich präsentieren, mangelt es ebenso an branchenweiten Standards. «Es wird kontinuierlich an der Durchsetzung von Standardregeln sowohl für digitale Vermögenswerte als auch für DLT-Lösungen, auf denen diese Werte beruhen, gearbeitet», so Höhener. Er behauptete, dass die Schweizer Initiativen wie die 4T-DLT und der BCP-Rechtsrahmen für die Bewertung von Krypto-Token ausschlaggebend für die Schaffung von Standards seien, die die Massenakzeptanz digitaler Vermögenswerte vorantreiben würden. Höhener führte weiter aus, dass es besonders wichtig sei, einen branchenweiten Konsens für die Emission, den Transfer und die Verwahrung von digitalen Vermögenswerten zu haben. Ohne Standards würden die Marktteilnehmer nur schwer miteinander interagieren können. «Eines der Probleme ist das Vorhandensein einer Reihe von White Papers zu DLT und digitalen Vermögenswerten. Das Streben nach gemeinsamen Standards sollte eine marktgesteuerte Initiative sein», fügte Höhener hinzu. 
 

Vertrauenswürdige Gegenparteien schliessen sich an

Die Schweizer Börse ist sich voll bewusst, dass die Märkte einen beispiellosen Wandlungsprozess durchlaufen, weshalb sie die SIX Digital Exchange (SDX), eine vollständig integrierte Emissions-, Handels-, Abwicklungs- und Verwahrungsinfrastruktur für digitale Vermögenswerte, entwickelte. Die Schweizer Börse baut ihre bestehende Produktpalette weiter aus und entwickelt ihr Geschäft entsprechend den Kundenanforderungen weiter. Im Dezember 2020 gab die Börse ihre wichtige strategische Beteiligung an Custodit bekannt. Im Rahmen dieser Beteiligung wird SDX zusammen mit Custodit ein institutionelles Gateway für digitale Vermögenswerte («Institutional Digital Asset Gateway») bereitstellen, das die gesamte Investment-Wertschöpfungskette für Banken unterstützen wird – vom Handel und Smart Order Routing über die Abwicklung, Verwahrung, Bekämpfung der Geldwäsche (AML) bis hin zum Zugang zu Sekundärmärkten. Diese Partnerschaft wird Banken einen fliessenden Zugang zu Krypto-Währungen und digitalen Vermögenswerten mit der Möglichkeit einer differenzierten Preisfindung gestatten. 

Dank dem Institutional Digital Asset Gateway erhalten die Banken ab dem 1. Quartal 2021 einen nahtlosen Zugang zu den Märkten für digitale Vermögenswerte. Somit können auch Finanzdienstleistungen und -produkte rund um Krypto-Währungen und digitale Vermögenswerte für Kunden erarbeitet werden. «Die Schweizer Börse ist eine zuverlässige Anbieterin von Dienstleistungen und eine Marktinfrastruktur, die im Auftrag von Institutionen handelt und ihnen den Zugang zu den Märkten weltweit ermöglicht. Die Börse ist eine traditionelle FMI, die das nationale Zahlungsnetzwerk der Schweiz betreibt. Swisscom ist das führende Telekommunikationsunternehmen der Schweiz und die Sygnum Bank5 , welche bereits Services im Bereich digitale Vermögenswerte für Banken über ihre Sub-Custody Lösung anbietet,  ist einer der fortschrittlichsten Akteure im Bereich des Digital Asset Banking, der einer strengen FINMA-Regulierung unterliegt. Aber: Wir wissen, dass die Märkte einem Wandel unterliegen und wir wollen eine führende Position einnehmen. Aus diesem Grund haben wir SDX entwickelt, um eine digitale Marktinfrastruktur bereitzustellen, die den Handel mit digitalen Vermögenswerten unterstützt», erklärte Grant. 

Diese neueste Kooperation kommt fast zehn Monate nach der wichtigen Beteiligung der Schweizer Börse an Omniex. Diese Partnerschaft wird sowohl der Schweizer Börse als auch ihren Kunden einen Zugang zu digitalen Börsen (einschliesslich Krypto-Börsen) und OTC-Märkten ermöglichen. Die Tatsache, dass die Schweizer Börse – eine führende FMI – Lösungen entwickelt, um den Handel mit digitalen Vermögenswerten zu erleichtern, wird für traditionelle Banken und konservative institutionelle Anleger eine grosse Zusicherung sein. Grant hob hervor, dass SDX vollständig reguliert sei, und führte weiter aus, dass ihre DLT-Infrastruktur nun einsatzfähig und in der Lage sei, in grossem Umfang zu operieren. Das seien Meilensteine, die den Bankkunden viel Komfort bieten würden. Er bemerkte auch, dass das Anbieten von Dienstleistungen wie Asset Safekeeping, AML und KYC («Know your Customer») durch SDX den Banken einen sicheren und reibungslosen Zugriff auf digitale Vermögenswerte erlauben wird. «Wenn Institutionen in die digitalen Vermögenswerte einsteigen möchten, dann müssen die Intermediäre und Infrastrukturen, die diesen Zugriff zur Verfügung stellen, robust sein», so Grant.
 

Die zukünftige Entwicklung digitaler Vermögenswerte

Ohne Regulierung oder Industriestandards werden die digitalen Vermögenswerte nur schwer die Akzeptanz institutioneller Anleger erlangen können. Diese Anleger wollen die Gewissheit haben, dass die Marktinfrastrukturen, die den Handel mit digitalen Vermögenswerten unterstützen, stabil sind. Genau hier setzt SDX an und wird die Zukunft mitgestalten.
 

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1 Pensions & Investments (9. Juni 2020) Institutional investor interest in digital assets rises (Steigendes Interesse der institutionellen Anleger an digitalen Vermögenswerten) – Umfrage

2 ISSA (November 2019) Crypto-assets: Moving from theory to practice (Krypto-Vermögenswerte: von der Theorie zur Praxis)

3 ISSA (November 2019) Crypto-assets: Moving from theory to practice (Krypto-Vermögenswerte: von der Theorie zur Praxis)

4 Coin Geek (21. Oktober 2020) Swiss parliament approves raft of digital asset regulations (Schweizer Parlament verabschiedet eine Reihe von Regelungen für digitale Vermögenswerte)

5 Die Platformintegration wird via Custodigit angeboten, während Sub-Custody schon über Sygnum Bank verfügbar ist.