Financial Literacy: Schlüssel zum Erfolg

Financial Literacy: Schlüssel zum Erfolg

Auch hoch entwickelte Finanzmärkte, wie in Deutschland oder der Schweiz, weisen ein niedriges Niveau von finanzieller Allgemeinbildung auf - vor allem bei jüngeren und älteren Jahrgängen. Financial Literacy können das Verständnis und die Fähigkeit, das bereits erlangte Wissen zu nutzen, steigern. Was Financial Literacy genau ist, wird von Andrea Weidemann, der Direktorin des Schweizer Finanzmuseums, erklärt.

Was ist Financial Literacy?

Laut Investopedia ist Financial Literacy die Fähigkeit, verschiedene finanzielle Sachverhalte zu verstehen und effektiv zu nutzen, einschliesslich persönlicher Finanzverwaltung, Budgetierung und Investitionen. Zusammengefasst: Financial Literacy, oder finanzielle Bildung, ist die Grundlage für alle Interaktionen mit Geld, in verschiedenen Formen - und da die Sachverhalte im Bereich Finanzen sich ständig verändern und entwickeln, ist der Lernprozess in diesem Bereich nie vorbei und begleitet uns unser ganzes Leben.  Je früher wir uns mit dieser Materie anfreunden, desto besser.  Wissen und Verständnis der Zusammenhänge sind der Schlüssel zum Erfolg, wenn es um Finanzen geht.

Was ist ein Beispiel für Financial Literacy?

Der Begriff "literacy", der im Englischen für Finanzkompetenzen gebraucht wird, bedeutet wortwörtlich "Lese-und Schreibfähigkeit". In diesem Sinne bedeutet finanzielle Bildung, oder Finanzkompetenzen, die Fähigkeit Finanzen zu verstehen: angefangen beim Einkaufen von Lebensmitteln in einem Supermarkt und der Kalkulation, welche Produkte man wählt, damit das vorhandene Geld reicht, bis hin zum Verständnis, wie viel Geld man am Ende des Monats, nach Abzug aller Rechnungen, zur Verfügung hat. Schliesslich gehören dazu auch komplexere Themen, wie Leerverkäufe von Derivaten an der Börse. Die Basis, um all diese Entscheidungen zu treffen, ist finanzielle Bildung.

Wieso ist Financial Literacy so wichtig?

Wir verzeichnen Rekordsummen an der Börse, weil Menschen aufgrung der Pandemie von Zuhause aus arbeiten und dadurch mehr Zeit haben um sich um ihre eigenen Wertpapiergeschäfte zu kümmern. Altersarmut steigt stetig, obwohl die Menschen einst gut bezahlte Jobs hatten und davon überzeugt waren, dass Rentenversicherungen vom Arbeitgeber ihre Zukunft sichern. Wir haben Negativzinsen und - vor allem in der Schweiz - einen rekordhohen Andrang auf Immobilien und Hypotheken, dazu kommt eine junge Generation, die sich für Kryptowährungen und NFTs begeistert. Man könnte meinen, dass wir in Zeiten hoher Finanzkompetenzen leben. Aber das Gegenteil ist die Wahrheit.

Was sind "The Big Three" der Financial Literacy?

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Annamaria Lusardi, eine weltweit anerkannte Expertin für Finanzwissen und Professorin an der George Washington University, hat mehrere Studien durchgeführt, die alle zu dem Ergebnis kamen, dass das Finanzwissen junger Erwachsener, aber auch von Menschen mit akademischem Hintergrund, immer noch unzureichend ist.

In diesen Studien stellte sie den Teilnehmern drei grundlegende Fragen, die in der Finanzkompetenzforschung als "The Big Three" bekannt geworden sind:

1) Wie viel Geld wirst du nach fünf Jahren auf deinem Konto haben, wenn du in dieser Zeit weder Geld einzahlst noch abhebst?

2) Angenommen, der Zinssatz für dein Sparkonto beträgt 1% und die Inflation 2%. Wie viel kannst du mit dem Geld auf deinem Konto nach einem Jahr kaufen?

3) Ist es risikoreicher, Geld in eine Anlage oder in mehrere Anlagen zu investieren?

Die eher überraschenden - und etwas beängstigenden – Ergebnisse ihrer Forschung sind, dass selbst in Ländern mit sehr entwickelten Finanzmärkten, beispielsweise den USA, Deutschland, den Niederlanden oder der Schweiz, das Finanzwissen immer noch gering ist. Und viele Teilnehmer sind nicht in der Lage, diese Fragen richtig zu beantworten.

Unsere Mitarbeitenden bei SIX beweisen ihre Standfestigkeit im Sattel - und in ihren Fachgebieten. Andrea Weidemann, Direktorin des Schweizer Finanzmuseums in Zürich, ist 67 Sekunden lang auf dem Bullen und erzählt von der Bedeutung von Financial Literacy.

Unsere Mitarbeitenden bei SIX beweisen ihre Standfestigkeit im Sattel - und in ihren Fachgebieten. Andrea Weidemann, Direktorin des Schweizer Finanzmuseums in Zürich, ist 67 Sekunden lang auf dem Bullen und erzählt von der Bedeutung von Financial Literacy.

Wer braucht eigentlich Financial Literacy?

Alle! Unter den vielen Forschungsergebnissen sticht eines hervor: Die Finanzkompetenz folgt einer umgekehrten U-Form. Sie ist also bei jüngeren und älteren Bevölkerungsgruppen am niedrigsten und erreicht im mittleren Alter ihren Höhepunkt. In den offiziellen Lehrplänen der meisten Länder wird das Thema Finanzwissen jedoch vernachlässigt. Dies ist besonders bemerkenswert, da es in der akademischen Welt eine Reihe von Studien gibt, die darauf hindeuten, dass eine bessere finanzielle Allgemeinbildung, insbesondere bei jungen Menschen, grössere Krisen verhindern könnte. Eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 2014 kommt zum Beispiel zu dem Schluss, dass die globale Finanzkrise von 2008 weitgehend hätte vermieden werden können, wenn die direkt Betroffenen über mehr Finanzwissen verfügt hätten.

Warum engagieren Sie sich als Museumsdirektorin für Financial Literacy?

Nun, ich glaube, dass unsere Aufgabe als Museum nicht nur darin besteht, das kulturelle Erbe zu bewahren und auszustellen, sondern dass wir auch eine Bildungsfunktion oder eher einen Bildungsauftrag haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass es unsere Aufgabe ist, mit dem Schweizer Finanzmuseum dazu beizutragen, die finanzielle Allgemeinbildung zu verbessern, indem wir sie allen Menschen und insbesondere Kindern, gleichermassen zugänglich machen.

Eines der Ziele des Schweizer Finanzmuseums sind Programme für Studenten. Wir bieten regelmässig Museumsführungen an, die sich mit dem Handel, der Börse und der Geschichte des Schweizer Finanzplatzes befassen. Wir haben aber auch einen Workshop speziell für kleine Kinder ab 6 Jahren eingeführt.

Wie kann ich meine Finanzkompetenz verbessern?

Da das Bewusstsein für dieses Thema und seine Bedeutung weltweit zunimmt, gibt es auch immer mehr Bildungsprogramme - viele davon sind kostenlos und leicht zugänglich. Ich persönlich glaube, dass es wichtig ist, einen neutralen Ort für diese Art von Bildung zu finden. Meldet euch nicht für einen Kurs an, bei dem klar ist, dass am Ende jemand versuchen wird, sein eigenes Finanzprodukt zu verkaufen. Sucht nach einer unabhängigen Quelle.

Und natürlich kommt es auch immer auf dein Fachwissen an - was für Person A funktioniert, funktioniert vielleicht nicht für Person B. Es gibt inzwischen viele Bildungsprogramme, die sich speziell an Frauen richten, da sie in der Regel ein anderes Anlageverhalten haben als Männer.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht nur für Erwachsene wichtig ist, ihre Finanzkenntnisse zu verbessern, sondern dass dieses Thema auch in die Erziehung von Kindern einbezogen werden sollte. Und zwar nicht nur durch den Lehrplan der Schule, sondern auch zu Hause. Spricht zu Hause, am Esstisch, über Geld. Erklärt euren Kindern die Finanzen, macht dieses Thema für sie greifbarer.

Müssen also auch die Eltern ihren Kindern Finanzkompetenzen "beibringen"?

Wahrscheinlich nicht "beibringen" im klassischen Sinne des Wortes. Aber wie bereits erwähnt, ist es wichtig, dass Kinder ein Verständnis für Finanzen und Geld bekommen - und sei es nur ein grundlegendes. Ich habe bereits Lusardis umgekehrte U-Kurve der Finanzkompetenz erwähnt, aus der hervorgeht, dass Kinder nur ein sehr geringes Verständnis für diese Themen haben. Und leider ist es auch ein Thema, das in vielen Lehrplänen weltweit noch vernachlässigt wird.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat 2015 in einer Studie untersucht, inwieweit die Schulbildung, das Elternhaus und die daraus resultierende finanzielle Bildung einen Einfluss auf den späteren Umgang mit Geldanlagen haben. Die Ergebnisse zeigen, dass der familiäre Hintergrund einen grossen Einfluss auf das Niveau der finanziellen Allgemeinbildung hat und das Verhalten durch finanzielle Bildung beeinflusst.

Diese Tatsache, zusammen mit den Ergebnissen der bereits erwähnten Weltbankstudie, sollte deutlich machen, warum Geld auch am Esstisch ein Thema sein sollte.