CDR: Wie aus Zertifikaten für die dauerhafte CO₂-Entnahme eine Anlageklasse entsteht

CDR: Wie aus Zertifikaten für die dauerhafte CO₂-Entnahme eine Anlageklasse entsteht

CO₂ aus der Atmosphäre zu entfernen ist essenziell, wenn Unternehmen und Staaten ihre Netto-Null-Ziele erreichen wollen. Lesen Sie im Interview mit dem CEO von SIX, Bjørn Sibbern, wie aus Zertifikaten für die dauerhafte CO₂-Entnahme eine neue Anlageklasse entstehen könnte und welche Rolle dabei eine Börsenbetreiberin spielen kann.

Herr Sibbern, warum ist jetzt ein guter Zeitpunkt für Unternehmen, Zertifikate für die dauerhafte CO₂-Entnahme – kurz CDR-Zertifikate –, zu kaufen?

Es ist nicht an mir zu bestimmen, ob und wann ein Unternehmen CDR-Zertifikate kaufen soll. Klar ist jedoch: es gibt gleich mehrere gute Gründe dafür. Indem sich immer mehr Unternehmen zu Netto-Null-Zielen verpflichten, steigt die Nachfrage nach hochwertigen CDR-Zertifikaten. Das verknappt das Angebot und erhöht die Preise.

Durch frühzeitiges Handeln können Unternehmen langfristige Vereinbarungen zu vorteilhaften Preisen abschliessen. Zudem sichern sie sich Wettbewerbsvorteile und positionieren sich als Branchenpioniere im Klimaschutz. Und sollte es künftig zu Regulierungen kommen, sammeln jene Unternehmen, die jetzt starten, wertvolle Erfahrungen und sind besser vorbereitet.

Welche Rolle kann SIX dabei spielen, insbesondere für kotierte Unternehmen?

Wir können Unternehmen aufzeigen, welche Lösungen existieren. So wie wir sie bei Indexfragen oder regulatorischen Themen begleiten, können wir sie nun auch über zuverlässige, nachverfolgbare und anerkannte CDR-Zertifikate informieren. Es geht darum, Bewusstsein für kommende Regulierungen zu schaffen und Geschäftsmöglichkeiten aufzuzeigen.

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Was sind Zertifikate für die dauerhafte CO₂-Entnahme?

Aus der Sicht eines Unternehmens ist es sicher das richtige Vorgehen, zunächst die Emissionen – und damit den CO2-Fussabdruck – so weit wie möglich zu reduzieren. Aber um die gesetzten Netto-Null-Ziele zu erreichen, wird das in den meisten Fällen nicht genügen. Ein Unternehmen muss sich überlegen, wie es die unvermeidbaren CO2-Emissionen ausgleichen kann. Eine Möglichkeit ist der Erwerb von CO2-Zertifikaten, indem sie beispielsweise in Aufforstungsprojekte investieren.

Eine grössere Wirkung haben jedoch Zertifikate für die dauerhafte CO2-Entnahme (Carbon Dioxide Removal; CDR). Damit unterstützen Unternehmen Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und zur sicheren Speicherung von Kohlenstoff. Jedes Zertifikat steht für eine Tonne CO2, die nachweislich aus der Atmosphäre entfernt, von Anfang bis Ende erfasst und digital in einem Register gespeichert wurde, um Transparenz sicherzustellen. Nach dem Kauf erhält das Unternehmen den Nachweis als CDR-Zertifikat, den es in seiner Klimabilanz abbilden kann.

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SIX hat Anfang 2024 in Carbonfuture investiert, einen führenden Anbieter digitaler Infrastruktur für die Verfolgung des Marktes für die dauerhafte CO₂-Entnahme. Warum?

Wir glauben, dass CDR-Zertifikate eines Tages eine handelbare Anlageklasse sein werden. Das ist nichts, was wir alleine entwickeln können. Carbonfuture betreibt eine digitale Infrastruktur, die diesen Markt von Anfang bis Ende abdeckt und über das notwendige Fachwissen verfügt: Das Unternehmen identifiziert Dienstleister, die CO2 entnehmen, stellt die Überprüfung sicher und betreibt die weltweit grösste Plattform zur Ausgabe von vertrauenswürdigen, qualitativ hochstehenden Zertifikaten für die dauerhafte CO2-Entnahme. Mit Carbonfuture als strategischem Partner können wir unsere Kunden kompetent beraten und sie in ihrem Umgang mit CDR-Zertifikaten unterstützen.

Was braucht es, damit das Segment für CDR-Zertifikate skaliert und eine handelbare Anlageklasse werden könnte?

Erstens: Nachfrage. Unternehmen müssen sich zu Netto-Null verpflichten und ihren Ausgleichsbedarf für unvermeidbare Emissionen anerkennen. Zweitens: Angebot. Wir brauchen genügend qualitativ hochwertige Technologieanbieter, die CO2 überprüfbar und dauerhaft entnehmen. Das kann durch verschiedene Arten geschehen. Und drittens: Infrastruktur. Ein zuverlässiger, zentralisierter Marktplatz, der beide Seiten transparent verbindet.

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Welche Technologien zur dauerhaften Entnahme von CO₂ gibt es?

Drei der kommerziell am besten skalierbaren Methoden zur langfristigen CO2-Entnahme sind Biochar Carbon Removal, Bioenergie mit Carbon Capture und Speicherung sowie Direct Air Capture und Speicherung.

Biochar Carbon Removal
Pflanzen binden CO2 durch Photosynthese, setzen es aber beim Verrotten oder Verbrennen wieder frei – teils sogar als Methan. Biochar Carbon Removal verhindert das: Biomasse wird ohne Sauerstoff erhitzt und so in eine stabile Kohlenstoffform umgewandelt, die permanent gespeichert bleibt.

Bioenergie mit Carbon Capture und Speicherung
In einem typischen Verfahren zur Umwandlung von Biomasse in Energie wird Biomasse verbrannt, um Strom, Wärme oder Brennstoff zu erzeugen. Dabei gelangt das CO2 wieder in die Atmosphäre. Bioenergie mit Carbon Capture und Speicherung unterbricht diesen Kreislauf. Das System fängt das CO2 vor Ort ein und verhindert damit eine erneute Freisetzung.

Direct Air Capture und Speicherung
Bei Direct Air Capture und Speicherung wird Umgebungsluft angesaugt und CO2 vor Ort ein und verhindert damit eine erneute Freisetzung. in chemischen Filtern gebunden. Anschliessend kann das CO2 vor Ort ein und verhindert damit eine erneute Freisetzung. gereinigt, komprimiert und entweder industriell genutzt (z.B. für synthetische Kraftstoffe oder Baustoffe) oder dauerhaft in Gesteinsschichten gespeichert werden.

Lesen Sie mehr über die Technologien zur Entnahme von CO2.

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Wie könnte ein solcher Marktplatz für CDR-Zertifikate aussehen?

Heute läuft der Handel mit CDR-Zertifikaten über direkte Vermittlungen in bilateralen Gesprächen und over-the-counter. Wenn Nachfrage und Angebot wachsen, ist der nächste Schritt ein transparenter Marktplatz: mit fairer Preisbildung und verlässlichen Daten; Preis-Feeds, vielleicht sogar Indizes. Das macht eine Anlageklasse aus: Standardisierung, Liquidität und Datentransparenz. 

Soweit sind wir aber noch nicht, aber das ist unsere Vision und ein weiterer Grund, warum wir in Carbonfuture investiert haben. In drei bis fünf Jahren könnte es einen Markt geben, in dem Dienstleister ihre CDR-Zertifikate verkaufen und Unternehmen sie kaufen. Dann können wir diese auch auf unsere Plattform bringen und handelbar machen – ähnlich wie wir es mit Anleihen oder mit Kryptowährungen in Form von Exchange Traded Products getan haben.

Reicht der freiwillige Markt für CDR-Zertifikate aus, um die nötige Nachfrage zu schaffen – oder braucht es Regulierung?

Meines Erachtens braucht es beides. Die freiwillige Nachfrage mündet bereits in frühe Akzeptanz – viele Unternehmen, darunter auch SIX, bekennen sich zu Netto-Null und gehen ihre Restemissionen mit dauerhaften Entnahmen an. Regulierung kann den Prozess beschleunigen: In einigen Ländern – auch in der Schweiz – sind Klimaberichterstattung und Netto-Null-Ziele bis 2050 bereits verpflichtend, in vielen anderen geht es in die gleiche Richtung. Doch auch ohne regulatorischen Druck gilt: Wer Verantwortung übernimmt und seinen Fussabdruck verringern will, kommt an der Entnahme von CO2 nicht vorbei.

Sie haben angedeutet, dass SIX selbst auch CO₂-Emissionen kompensiert. Warum und wie machen sie das?

Zunächst geht es darum, als Unternehmen Verantwortung zu übernehmen und unseren Beitrag zu leisten. Nachhaltigkeit ist ein Kernbestandteil unserer Strategie, und die Reduktion von CO2-Emissionen ist Teil davon. Wir reduzieren, wo möglich, aber es bleiben Restemissionen. Diese gleichen wir mit CDR-Zertifikaten aus – für mehrere Jahre erworben über Carbonfuture. Zugleich ist das auch Learning by Doing: Wir haben in Carbonfuture investiert und wollen deren Lösungen selber testen.

Was stimmt Sie persönlich optimistisch, dass wir die Klimaziele bis 2050 erreichen?

Es ist nicht an mir, politische Ziele zu bewerten. Was mich jedoch optimistisch stimmt, ist, dass wir wissen, wie man vertrauenswürdige Märkte aufbaut. Börsenbetreiberinnen wie SIX haben schon immer die Infrastruktur bereitgestellt, die neue Ideen in investierbare Anlageklassen verwandelt.

Wenn wir das auch für CDR-Zertifikate umsetzen, erhalten Unternehmen einen klaren Wegweiser zur Erreichung ihrer Netto-Null-Ziele, und Dienstleister werden für ihren Beitrag fair belohnt. Entsprechend bin ich auch zuversichtlich, dass CDR-Zertifikate uns nicht nur den Klimazielen näher bringen, sondern sich auch zu einer anerkannten und glaubwürdigen Anlageklasse entwickeln werden.