Zahlungsverhalten in der Schweiz: 3 Mythen und wie sie der Prüfung durch Daten standhalten

Zahlungsverhalten in der Schweiz: 3 Mythen und wie sie der Prüfung durch Daten standhalten

Mit Karte oder bar? Diese Frage stellt sich beim Zahlen nicht nur für Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch für die Zahlungsverkehrsbranche. Lesen Sie in diesem Blogpost, welche Schlüsse sich aus Millionen von Transaktionen über die Bezahlvorlieben von Herrn und Frau Schweizer ableiten lassen.

Digitalisierung, demografischer Wandel, wachsende Konnektivität, Urbanisierung und Open Banking sind einige der Trends, die die Zahlungsverkehrsbranche stark beeinflussen. Unser Zahlungsverhalten ändert sich laufend und damit auch unser Verständnis darüber. Parallel dazu tauchen neue, vermeintliche Wahrheiten auf – regelrechte Mythen zur Frage, wie die Menschen heute bezahlen. Im schlimmsten Fall führt der Glaube an diese Mythen dazu, dass die Branche falsche Entscheidungen trifft oder Chancen verpasst.

Wie zahlen Schweizerinnen und Schweizer?

Das bewährte Mittel gegen Mythen sind Fakten, Fakten, wie sie SIX kürzlich zusammen mit der Universität St. Gallen im Whitepaper «Understanding Swiss Payment Preferences: Cash, Cards and Other Patterns» zusammengetragen hat. Dieser Blogpost nutzt die aus Millionen von Transaktionen gewonnenen Erkenntnisse, um drei gängige Mythen zum Zahlungsverhalten auf den Prüfstand zu stellen – und um das allgemeine Verständnis für das Zahlungsverhalten der Schweizerinnen und Schweizer zu verbessern.

Mythos 1: In der Stadt wird mehr mit Karte bezahlt als auf dem Land.

Wenn es um Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten geht, gibt es schnell klare Erwartungen. Überspitzt gesagt steht Stadt für Offenheit und Fortschritt und Land für Tradition und das Festhalten an Bestehendem.

Diese Vorurteile bestehen auch beim Thema «Bezahlen». Das Whitepaper räumt aber mit ihnen auf. Es zeigt, dass die Verteilung der verschiedenen «Zahl-Typen» kaum variiert zwischen Stadt, Agglomeration und Land. Das ist durchaus überraschend. Deutlich wird ausserdem, dass mittlerweile wohl die meisten Verkaufsstellen (auch auf dem Land) Karten akzeptieren. Das wiederum ist eine wichtige Voraussetzung für den «Siegeszug» der Kartenzahlungen – und eine wichtige Erkenntnis für die Banken: Dank der Homogenität im Markt sind keine unterschiedlichen Angebote notwendig. Sie können den Markt einfacher bearbeiten.

Mythos 2: Im Tessin wird mehr mit Bargeld gezahlt als in der Deutschschweiz.

Die Vorliebe der Italiener für Bargeld und Münzen hat ihre Wurzeln in der Zeit des Römischen Reichs. Und dieses Verhalten wird oft auch den italienischsprachigen Schweizerinnen und Schweizern im Tessin und den französischsprachigen in der Westschweiz zugeschrieben.

Für das Tessin bewahrheitet sich der Mythos: Die Daten im Whitepaper belegen, dass das Tessin mit 11% über den höchsten Anteil aller Bargeldzahlenden (Cash Payer) verfügt. Darüber hinaus ist hier auch der Anteil derer, die hauptsächlich mit Bargeld zahlen (Mainly Cash Payer), im Vergleich am grössten (24%). Gut ein Drittel der Menschen im Tessin bevorzugt somit Bargeld. Darüber hinaus lässt sich der Mythos jedoch nicht bestätigen. Denn nur der Kanton Zürich hat eine deutlich kleinere Menge an Cash Payers (3%) und Mainly Cash Payers (13%) als die restlichen Regionen der Schweiz. In den deutschsprachigen Regionen ist der Anteil mit 4% Cash Payers und 14,6% Mainly Cash Payers ungefähr gleich gross wie in den französischsprachigen Regionen mit 6% und 17%. Selbst die Einwohnerinnen und Einwohner von benachbarten Kantonen wie Jura und Freiburg oder Genf und die Waadt haben in dieser Hinsicht klar unterschiedliche Präferenzen – womit die Klassifizierung nach sprachlich-kulturellem Hintergrund widerlegt ist.

Die Verfügbarkeit von Bargeld in der Schweiz muss also im Tessin etwas besser sein, während im Rest der Schweiz die Dichte an Ausgabepunkten tiefer sein kann. Darüber hinaus sind für die Bestimmung der optimalen Dichte der Ausgabepunkte Mikrofaktoren wie Erreichbarkeit und Ähnliches entscheidend und nicht Sprachgrenzen.

Mythos 3: Kundinnen und Kunden von Grossbanken sind moderner und kartenaffiner als die von Regionalbanken.

Gemäss landläufiger Meinung sind die Kundinnen und Kunden der beiden Schweizer Grossbanken digital affin, nutzen Onlineangebote und benötigen entsprechend wenig Bargeld. Hingegen sind die bei lokal verankerten Kantonal- und Regionalbanken betreuten Kundinnen und Kunden eher traditionell unterwegs, scheuen die neuen Technologien – inklusive der Kartenzahlung – und bevorzugen entsprechend Bargeld.

Die Daten zeigen jedoch ein komplett anderes Bild. Die Kundinnen und Kunden der beiden Grossbanken haben gleich hohe Anteile an Cash Payers und Mainly Cash Payers wie die Kantonalbanken, die knapp 6% und 16% aufweisen. Bei der Raiffeisen und den anderen Regionalbanken ist der Anteil mit 4% und 14% deutlich tiefer. Fraglich ist, ob dieser Unterschied wirklich mit dem Verhalten der Kundinnen und Kunden begründet werden kann oder ob andere Faktoren einen Einfluss haben. So könnte etwa das Produkteangebot bei Debit- und Kreditkarten einen Einfluss haben: Die Grossbanken setzen strategisch eher auf Kreditkarten, die in der Statistik des Whitepapers nicht in den Umsatz am Point of Sale eingeflossen sind. Entsprechend gewinnt Bargeld gegenüber den gemessenen Debitkarten an Gewicht (siehe auch graue Box unten).

Über das Whitepaper: Die Macht der Daten – und deren Grenzen

Der Ansatz dieses Whitepapers ist einzigartig. Es beschreibt das Verhalten von Konsumentinnen und Konsumenten über einen langen Zeitraum. Von September 2020 bis September 2021 hat SIX zusammen mit der Universität St. Gallen 760 Millionen anonymisierte Transaktionen untersucht. Die Stichprobe enthält drei Millionen Karteninhaberinnen und -inhaber in der Schweiz, die alle Regionen, Sprachen und Bankengruppen repräsentieren. Eine solche quantitative Untersuchung mit einer tiefgreifenden Analyse wurde für den Schweizer Markt noch nie durchgeführt.

Um die verschiedenen Forschungsfragen zu beantworten, standen nur Daten zu den Debitkarten-Transaktionen zur Verfügung. Insofern ist der Einwand gerechtfertigt, dass sich das Zahlungsverhalten von Herrn und Frau Schweizer auf dieser Grundlage nicht ganzheitlich beschreiben lässt. Dem gegenüber steht jedoch das Prinzip von «Constant Active Data»: Im Gegensatz zu den Kreditkarten werden Debitkarten konstant für Bargeldbezüge oder am Point of Sale verwendet und generieren so laufend Daten, die analysiert werden können. Die Beschränkung auf Debitkarten-Transaktionen machte es überhaupt erst möglich, die Präferenz für Bargeld- oder Kartenzahlungen über den gesamten Zeitraum durchgängig – und repräsentativ – zu beobachten. Die Höhe und die Frequenz der von den drei Millionen Karteninhaberinnen und -inhaber in der Stichprobe getätigten Zahlungen legen den Schluss nahe, dass für sie die Debitkarte das Hauptzahlungsmittel ist.